Rider Profile - Jolanda Neff
Die kompletteste Radfahrerin der letzten Jahre? Jolanda Neffs Name wird sicher sehr bald fallen. Die mehrfache Weltmeisterin und Gesamtweltcup-Siegerin im Crosscountry ist ebenfalls mehrfache Schweizer Meisterin auf dem Straßenrad und errang bei den Olympischen Spielen in Rio 2016 hier einen achten Rang. Ach ja, hin und wieder fährt sie außerdem noch Downhill-Rennen. „Am Crosscountry liebe ich die hohe Intensität, die technischen Passagen, den mentalen Aspekt. An den Straßenrennen macht mir das taktische und hochintensive Fahren Spaß, beim Downhill der Flow“, erklärt sie ihre fahrerische Bandbreite und ihre Leidenschaft.
„Mein Vater ist meine Inspiration“
Das Bike scheint regelrecht für sie erfunden worden zu sein: „Biken ist perfekt zugeschnitten auf mich und meine körperlichen Fähigkeiten. Das schönste für mich ist eine wunderschöne Trainingsrunde mit blauem Himmel, toller Begleitung, schönen Steigungen und Aussichten von der Spitze des Berges. Schlimm ist, wenn ich nicht mehr auf’s Bike kann.“
Schon nach ihrem ersten Auftritt mit Startnummer 1999 war sie nicht mehr zu stoppen. „Es hat mir einfach riesigen Spaß gemacht“, erinnert sie sich. „Mein Vater war professioneller Radrennfahrer und als das Mountainbiken aufkam, hat er uns an die Wettkämpfe mitgenommen. Noch heute ist er meine Inspiration.“ Ihr erstes nationales Rundkurs-Rennen fuhr sie 2004 mit dem Team Signer, das ihre Eltern als Trainingsgruppe aufgebaut hatten. Offensichtlich eine hervorragende Grundlage, denn Jolanda besuchte nie eine Sportschule: „Mountainbiken war mein liebstes Hobby. Ich wollte eigentlich nach der Matura 2012 ein Studium beginnen…“
Doch es sollte anders kommen. In ebendiesem Jahr schlug die 27-jährige Schweizerin in der Bikeszene ein wie eine Bombe: „Eine absolute Traumsaison! Ich wurde in der U23 Schweizer-, Europa- und Weltmeisterin, unterschrieb einen Vertrag beim Giant Pro XC Team, wurde ins Spitzensport Förderungsprogramm der Schweizer Armee aufgenommen.“ Von da an ging es von Sieg zu Sieg: Erste Erfolge im Weltcup, Nummer 1 der Rangliste, jüngste Weltcupsiegerin aller Zeiten. 2015 erhielt sie als 3-fache U23-Weltmeisterin die Ausnahmegenehmigung der UCI, um bei den internationalen Meisterschaften in der Elite zu starten: „Eine solche Ausnahme hatte es noch nie zuvor gegeben. Und ich wurde gleich auf Anhieb Europameisterin.“
2016 verteidigte sie ihren EM-Titel, wollte als amtierende Schweizer Straßenmeisterin aber einen Startplatz für das Olympische Straßenrennen in Rio gewinnen. Es gelang - sie belegte den hervorragenden achten Platz. Drei Tage nach dem Rennen aber stürzte sie im Training schwer und landete in ihrer Paradedisziplin XC „nur“ auf dem sechsten Rang. Im Herbst kam sie außerdem auf ihre Idee aus 2012 zurück und begann ein Studium an der Universität Zürich. 2017 holte sie den studienbedingten Trainingsrückstand bis zum Sommer auf – und stand mit dem Kross Racing Team als Weltnummer 1 und Weltmeisterin am Ende ganz oben.
„2018 - mein Jahr im Regenbogentrikot und absoluter Höhepunkt! Nach dem EM-Titel holte ich auch noch den dritten Gesamtweltcup“, lässt sie die Saison Revue passieren. Einziger Wehrmutstropfen: Das Weltmeistertrikot musste sie wieder abgeben. 2019, jetzt beim Trek Factory Racing XC Team, wurde sie gesundheitlich angeschlagen dennoch Europameisterin, Vize-Weltmeisterin und 2. im Weltcup. Die aktuelle Saison startete schwierig: Bei einem schweren Trainingssturz zu Weihnachten 2019 zog sie sich einen Milzriss und eine gebrochene Rippe zu, ihre Lunge kollabierte.
Aufgeben scheint für Jolanda Neff aber keine Option: Noch während der Reha-Phase entwickelte sie ihr neuestes Projekt, ihr eigenes Magazin „Trois Mois“. „Ich möchte Hintergrundgeschichten erzählen und einen Einblick in mein Leben geben. Momente zum Schmunzeln, Sinnieren und Staunen sind erwünschte Nebenwirkungen“, lacht sie. Mittlerweile sitzt sie auch wieder auf dem Rad: „Ich will stärker werden als jemals zuvor. Und ich freue mich schon auf die Renntage: Aufwärmen, Start um die Mittagszeit, Rennen. Siegerehrung, Anti-Doping-Kontrolle, Ausfahren und Zeit für Fans, Autogramme und Fotos. Ich freue mich immer, wenn ich in der Dusche stehe, alles abwaschen kann und nach dem Abendessen todmüde ins Bett falle.“
Jolanda Neff, todmüde? Kaum zu glauben. Viel wahrscheinlicher erscheint, dass man sie auch in diesem Sommer so sehen wird: „Wind im Haar, Sonne im Gesicht.“