Auf den Spuren des Vulkans
Die Azoren kennen die meisten Menschen wahrscheinlich nur vom gleichnamigen Hochdruckgebiet aus dem Wetterbericht. Aber wie sieht es dort in Sachen Biken aus? Angie Hohenwarter und Oli Dorn waren auf der Hauptinsel Sao Miguel, um sich selbst ein Bild von dem noch recht unbekannten Naturparadies zu machen.
Die portugiesische Inselgruppe liegt knapp 1.400 Kilometer entfernt vom europäischen Festland, mitten im Atlantik. Schon beim Anflug auf Sao Miguel fällt einem sofort das satte Grün der Insel ins Auge. Im Gegensatz zu den Kanaren unterliegen die Azoren nicht dem Nordost-Passat, daher herrscht hier eine hohe Luftfeuchtigkeit und das Wetter kann sich jede Sekunde ändern. Oft kommt man sich vor, als durchlebe man die vier Jahreszeiten an einem Tag.
Sao Miguel ist die Hauptinsel der insgesamt neun Inseln der Azoren. Die Vulkaninsel umfasst eine Fläche von 746,8 Quadratkilometern und hat 140.000 Einwohner. Über 100 Vulkane, mal größer, mal kleiner, gibt es auf der Insel. Allesamt natürlich inaktiv und größtenteils wie von einem grünen Teppich bedeckt.
Wir hatten unsere Base in der Hauptstadt Ponta Delgada. Das kleine Apartmenthaus „Ana’s Place“ liegt zentrumsnah und ist ein idealer Ausgangspunkt für Bike- und Kulturausflüge.
Auf der Insel gibt es insgesamt 45 Trails. Auch wenn einige von ihnen auf Apps wie „Trailforks“ zu finden sind, ist es eher schwierig, sie auf eigene Faust zu erkunden. Daher bietet es sich an, Shuttle-Unternehmen wie „Bike Safari Tour“ zu engagieren. Guide Carlos spricht fließend Englisch und ist super sympathisch. Er kennt nicht nur jeden Trail wie seine Westentasche, sondern bringt einem auch Land und Kultur näher.
Die Trails auf den Azoren sind nicht vergleichbar mit denen auf La Palma, in Finale Ligure oder anderen großen Bike-Destinationen. Meist eher naturbelassen, lautet das Motto hier eher „Adventure“ statt „ballern“. Einige wenige Strecken sind dennoch gebaut und laden ein, Strava-Runs zu machen.
Wenn das Wetter wieder einmal verrücktspielt, gibt es auf Sao Miguel einiges zu sehen und zu entdecken. Ein Highlight ist sicher der Besuch der Teeplantage „Cha Porto Formoso“. In ganz Europa gibt es insgesamt nur zwei Teeplantagen und beide befinden sich hier auf der Insel. Die Führung ist kostenfrei und dauert ca. zehn Minuten. Anschließend bekommt man sogar noch eine Tasse Tee.
Einen Besuch lohnt auf jeden Fall auch die Ananas Plantage „A Arruda“. Dort kann man von Gewächshaus zu Gewächshaus die verschiedenen Wachstumsstadien begutachten. Neben den Früchten gibt es auch leckere Bonbons, Marmelade und Liköre zu kaufen.
Wenn man durch die malerischen Städtchen von Sao Miguel schlendert, fallen einem sofort die mit Keramik verzierten Häuser auf. Jedes ist individuell und einzigartig. Die meisten der von Hand bemalten Fliesen kommen aus der kleinen Keramikfabrik „Cerâmica Vieira“. Auch hier kostet der Besuch nichts und man kann den Frauen beim Bemalen und Töpfern direkt über die Schulter schauen. Auf Bestellung werden auch Unikate angefertigt. Je nach Größe dauert dies drei bis vier Tage.
Was meist mit Neuseeland in Verbindung gebracht wird, ist auch auf Sao Miguel keine Seltenheit: Die unter der Erde stattfindenden vulkanischen Aktivitäten sorgen für heiße Quellen, die wiederum kleine Becken mit 39 Grad warmem Wasser versorgen. Ideal, um sich nach dem Biken darin zu entspannen. Sao Miguel hat eine unglaubliche Anzahl an Kühen. Genauer gesagt eine halbe Million. Auf jeden Einwohner kommen daher fast drei Kühe.
Im Westen liegt einer der zwei größten Vulkankrater der Insel: Sete Cidades. Hier findet man nicht nur das wohl meist fotografierte Motiv von Sao Miguel, sondern auch einen „magischen Wald“ und freigelegtes Vulkangestein, das zum Freeriden einlädt.
Vom höchsten Berg der Insel, dem Pico da Barrosa (947 m), schlängelt sich der Trail „Indiana Jones“ hinab Richtung Meer. Mit sieben Kilometern Länge ist er der längste Trail auf der Insel. Bei dem grandiosen 360-Grad-Panorama, das man vom Pico da Barrosa hat, fällt es fast schwer, sich auf den Trail zu konzentrieren. Vulkankrater, See und Meer bilden eine unvergleichliche Kulisse. Einige hundert Höhenmeter tiefer geht es durch einen stark bewachsenen Urwald. Unwirklich satte Grüntöne, meterhoher Farn und kleine Wasserfälle schmücken den Trail und machen ihn zu einem unvergesslichen Erlebnis.
Kurz vor Sonnenuntergang zeigt sich die Insel an der Küste von ihrer schönsten Seite. Das weiche Abendlicht lässt die Steilküste und das raue Meer malerisch erscheinen. Oft erkennt man in der erstarrten Lava, die vor Jahrhunderten ins Meer floss, abstrakte Skulpturen.
Die Azoren sind auf jeden Fall eine Reise wert. Gerade wer etwas Besonderes zum Biken sucht, ist hier genau richtig. Jedoch sollte man den Trip nicht als reinen Bike-Urlaub betrachten, sondern viel mehr als Gesamtpaket. Urlaub, Bike, Kultur und Abenteuer auf einer vielseitigen Insel.