Rider Profile - Tom Pidcock
26. Juli 2021, Izu Mountain Bike Course in Tokyo, ca. 16:30 Uhr Ortszeit: Der 21-jährige Brite Tom Pidcock reißt die Hände in die Luft und überquert, den Union Jack in beiden Händen haltend, die Ziellinie des Olympischen Mountain Bike Rennens in Tokyo. Als erster. So große Namen wie Nino Schurter, das Maß aller Dinge im Cross-Country der letzten Jahre, oder sein Schweizer Landsmann Mathias Flueckiger, aktueller Weltcupführender, haben das Nachsehen hinter dem jungen Briten.
„Ich bin zum Mountain Biken geboren!“
Und das, obwohl der einfach nur froh war, überhaupt an den Start gehen zu können: „Es ist vollkommen verrückt, dass ich Olympiasieger in einem Rennen wurde, bei dem ich mir am Start selbst gesagt habe, dass es schon sehr speziell ist überhaupt hier sein zu können!“ Tom Pidcock hat die Cross-Country Szene 2021 schlichtweg überfahren. Nachdem er in Albstadt aus der 11. Reihe startend auf Rang fünf vorfuhr und das Feld von hinten aufrollte, sicherte er sich mit einem Sieg im tschechischen Nove Mesto – seinem ersten Weltcupsieg überhaupt – einen Startplatz bei den Olympischen Spielen in Tokyo. Anschließend sollte er etwas Mountain Bike-Pause machen und sich bis zum Weltcup in Les Gets auf dem Straßenrad, unter anderem der Tour de Suisse, „erholen“. Ende Mai holte ihn aber im Training ein Auto vom Rad – fünffacher Schlüsselbeinbruch. Was für die meisten anderen das Ende ihres olympischen Traums bedeutet hätte, gilt nicht für Tom Pidcock: Sechs Tage nach der Operation saß er wieder am Rad – auch wenn es der Hometrainer war.
Diese Zielstrebigkeit und Fokussierung auf das Ziel waren bei Tom schon als Kind erkennbar. Als er mit drei Jahren das Radfahren lernte, waren er und sein Bike in kürzester Zeit nicht mehr zu trennen. Er wuchs mit seinem Bruder zwar in Leeds auf, unternahm seine ersten Radrunden allerdings rund um das ehrwürdige Herne Hill Velodrom in London. Jedenfalls waren Tom und sein Rad von diesem Zeitpunkt an unzertrennlich – er fuhr überall, auf jedem Untergrund und bekam immer mal wieder Ärger in der Schule, weil er Wheelies und Stoppies im Schulhof vorführte.
Mit zehn Jahren beschloss er, dass er mehr Training bräuchte und begann, noch vor der Schule ein paar Runden auf dem Bike einzulegen. Er überredete seine Eltern, ihn zu Rennen zu fahren, was diesen gar nicht gefiel: „Sie wollten verhindern, dass ich den Spaß am Biken verliere, weil ich zu früh zu hart trainiere“, erinnert er sich heute. Er aber blieb hartnäckig und es dauerte nicht lange, bis das Talent des kleinen Jungen weit und breit bekannt war: Obwohl er oft der kleinste Junge an der Startlinie war, landete er doch meist am Podium – auf dem Rennrad genauso wie am MTB.Sein Talent erkannten auch seine radbegeisterten Eltern, und da er es sich in den Kopf gesetzt hatte, Radprofi werden zu wollen und ihm diese fixe Idee auch niemand austreiben konnte, fuhren sie ihren Sohn quer durchs Land, von Rennrad-Wettkämpfen über Cross-Country-Bewerben bis hin zu Cyclocross-Rennen. Mit 14 realisierte er, dass er all seine Alterskollegen am Berg locker in die Tasche packte und stellte sich die Frage, die entscheidend für seine Rad-Karriere sein sollte: „Vielleicht war ich doch eher ein Bergfahrer als ein Sprinter, wie mein Vater?“
Der Weg, den er einschlagen wollte, lag klar vor ihm ausgebreitet. Er begann mit dem Bahnradfahren – „essenziell, wenn man ein erfolgreicher Straßenfahrer werden will“ – und nahm schlichtweg an jedem Rennen teil, das er unter die Reifen nehmen konnte. Die Vielseitigkeit ist heute beruflich sein Trumpf: „Ich will ein Rider sein, der in allen Disziplinen, egal ob auf dem Straßenrad oder auf dem Mountain Bike, konkurrenzfähig ist und gewinnen kann.“ Sein Herz aber gehört dem Mountain Bike: „Ich bin zum Mountain Biken geboren! Das hört sich vielleicht dumm an, aber das ist es, was ich seit meiner frühesten Kindheit gemacht habe und was mir immer schon am allermeisten Spaß gemacht hat.“ Achja, hatten wir erwähnt, dass Tom Pidcock gerade mal 21 Jahre alt ist und der Olympiasieger in sämtlichen Disziplinen eigentlich noch in der U23- Kategorie fährt?