Rider Profile - Matthias Mayr
Onekotan, Antarktis, Ost-Sibirien, nördlich des 83. Breitengrades – wer hier, an den abgelegensten Orten dieses Erdballs, Ski fahren will, der muss ein ziemlich ausgeprägtes Abenteuer-Gen haben. Oder ziemlich einen an der Klatsche. „Ich sehe das positiv, wenn jemand sagt, ich sei verrückt. Das bedeutet doch nur, dass ich mir meinen Abenteuer-Sinn erhalten und meinen kindlichen Entdeckerdrang nicht verlernt habe“, gibt Matthias Mayr zurück. Genau dieser Wunsch, die Welt zu sehen und neue, märchenhafte Orte zu entdecken, bringen ihn – gemeinsam mit seinem Expeditions-Partner Matthias „Hauni“ Haunholder – seit Jahren an Orte, die zuvor kaum jemand mit Ski bereist hat.
„Am schönsten ist es immer noch zuhause“
Kennengelernt haben sich die beiden vor 15 Jahren bei einem Freeride Contest, drei Jahre später standen sie erstmals zusammen bei einer Filmproduktion vor der Kamera. „Wir haben da ziemlich schnell gemerkt, dass wir harmonieren und uns gut ergänzen“, erinnert sich der 39-jährige gebürtige Niederösterreicher. Wieder ein paar Jahre später unternehmen die beiden ihre erste große Expedition – Onekotan. „Hauni hatte den FWT-Sieg eingefahren, ich war in Alaska beim Drehen. Wir waren beide gesättigt, und Freeriden, wie wir es bis dato betrieben, war für uns nicht mehr Erfüllung genug. Wir wollten Sachen erleben, die das Freeriden für uns wieder spannend machen würden“, erklärt er den Ursprung der Expeditionen. „Wir wollten wieder Orte wie im Märchen entdecken, uns wie in Jules Vernes Romanen fühlen. Und haben zu überlegen begonnen, wo wir denn hinfahren könnten.“
Globus nehmen – schauen, wo niemand lebt – Plan machen, wie man hinkommt? „Ja, so ungefähr hat es begonnen“, lacht er. „Die Initialzündung für die Expeditionen kam wirklich so. Danach hat ein Abenteuer das nächste initiiert: Als wir von Onekotan heimgeflogen sind, waren wir total überrascht, in Sibirien zwei riesige Gebirgszüge zu entdecken. Da sind wir als nächstes hingefahren. Und nachdem wir am kältesten bewohnten Ort der Erde waren, wollten wir an den überhaupt kältesten Ort. Da hat uns dann jemand erzählt, dass es am Nordpol eigentlich viel besser zum Skifahren wäre…“
Dass er einmal als Beruf Freerider/Abenteurer angeben würde, lag so nicht auf der Hand: „Meine Eltern ließen mir glücklicherweise die Wahl, ob ich die Ski-Hauptschule besuchen wollte oder nicht. Damals hab ich es keine zwei Tage weg von zuhause ausgehalten, bin also nicht auf die Sportschule gegangen – meine Rennkarriere war vorbei, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Die ‚klassisch österreichische‘ Skiausbildung hab ich somit Gott sei Dank nicht genossen und konnte mir den Spaß am Skifahren immer erhalten.“
Diesen Spaß auf zwei Brettern fand er „schon als 6-jähriger“ neben der Piste: „Es ist nicht die Frage, wann ich Freeriden begonnen habe. Ich hab nie damit aufgehört.“ Mitte der 2000er nimmt er an den ersten Freeride-Bewerben statt, die in Mitteleuropa organisiert wurden, verliert aber schnell die Lust daran: „Filmen hat mich viel stärker interessiert.“ Aus Geldmangel fängt er selbst an, zu schneiden und zu produzieren – 2008 seinen ersten Streifen „Feel Adrenaline“.
Mehr oder weniger „nebenbei“ absolviert er das Studium der Sportwissenschaften, und zwar nicht nur bis zum Diplom sondern inklusive Doktortitel: „Ich glaube zwar, dass ein Studium überbewertet wird, denn nirgendwo hab ich so viel gelernt wie auf meinen Reisen. Aber Sport interessiert mich und Lernen fiel mir nie schwer, ich hab mir gedacht wenns leicht geht, dann mach ich das. Und außerdem“, fügt er schmunzelnd hinzu, „fand ich es witzig, dass einer der daherkommt wie ich, einen Doktortitel hat.“
In diesem Winter, in dem alles unsicher scheint, wird es Herrn Dr. Mayr nicht in ferne Länder verschlagen: „Wir haben ein Filmprojekt, in dem das Große Wiesbachhorn der Star sein wird, das kommt nächstes Jahr ins Fernsehen. Ansonsten setze ich auch beim Skifahren auf Qualität statt Quantität. Ich will Skifahren, wenn die Bedingungen gut sind.“ Die Frage drängt sich auf, wie für jemanden, der alles schon auf Ski gesehen hat und gefahren ist, der perfekte Skitag aussieht? „So wie für jeden anderen auch, denke ich: Mit meinen Freunden oder meiner Freundin unverspurte Hänge irgendwo in Österreich fahren. Nichts Extremes“, sinniert er. „Klar ist etwas wie Alaska unvergesslich, weil man nirgendwo sonst so steile Hänge mit so viel Tempo fährt. Aber steiler ist nicht unbedingt besser. Und das Beste am Reisen ist doch, das man sich am Ende immer denkt ‚Aber am schönsten ist es immer noch zuhause!‘“ Gut für ihn – und uns Filmzuseher, dass er es trotzdem mittlerweile länger als zwei Tage weg von daheim aushält.