7 Spring Lines - Alps
Text: Phillip Müller | Rebelride Crew
„Welcome on Board to Flight AC 846 to Munich,“ dröhnt es aus den Lautsprechern, als wir gerade unsere Skischuhe in die Gepäckablage über uns stopfen. Die Stimmung könnte eigentlich besser nicht sein. Wir hatten in den letzten zweieinhalb Wochen die besten Tage auf zwei Brettern, seitdem uns unsere Eltern als kleine Knirpse draufgestellt hatten, und doch ist irgendwie ein mulmiges Gefühl dabei.
Nach einem schneemäßig äußerst lausigen Start in die Saison, sahen wir unseren einzigen Ausweg, um unseren Durst nach Powder zu stillen, in Form von einem Flugticket nach Kanada. Die 2,5 Wochen dort waren der absolute Hammer. Man hätte es nicht besser erwischen können. Dann sollte man doch meinen, dass man vielleicht irgendwann mit dem zufrieden ist, was man bekommen hat. Im Gegenteil: Wir konnten es noch lange nicht sein lassen.
Zuhause angekommen, schlug uns erstmal die nasse Faust der Ernüchterung ins Gesicht. Es war mittlerweile Mitte März und wir konnten uns weder an den Blick hinterm Schreibtisch hervor gewöhnen, noch waren die Aussichten in den Bergen wirklich besser. Für das erste Wochenende zurück in heimischen Gefilden wären wohl Gummistiefel mehr angebracht gewesen als Skischuhe: Es regnete bis auf knapp 3000m.
„Das war‘s dann also für diese Saison,“ dachten wir uns. Doch irgendwie wollten wir das noch nicht so richtig wahrhaben. Also befragten wir noch einmal das World Wide Web und durchforsteten diverse Messstationen und Lageberichte nach Schneehöhen und Bedingungen. Wie sich schnell rausstellte, war der Rückzug in höhere Lagen die einzige sinnvolle Option. Genau wie vor unserer Abreise nach Kanada ging’s also wieder einmal rauf auf die Gletscher Tirols.
Dort angekommen, waren wir doch positiv überrascht: Hier oben hatte sich über die Saison doch eine ordentliche Menge an Neuschnee gesammelt und auch das Altschneeproblem des Frühwinters schien sich, durch die teils sehr warmen Temperaturen und die damit verbundene Setzung des Schneedeckenaufbaus im Hochwinter, erledigt zu haben. Es war sicher kein Hochgenuss; und auch weit und breit kein Powder bis zu den Knien in Sicht. Unsere Blicke schweiften schnell zu den Rinnen, die uns schon früher aufgefallen waren und uns seitdem im Kopf herumgeisterten. So gut mit Schnee aufgefüllt hatten wir sie noch nie gesehen und die Bedingungen schienen dazu noch so sicher zu sein wie nur selten. Der Plan für die nächsten Tage stand also schnell fest. Bewaffnet mit Steigeisen und Pickel machten wir uns auf zum ersten Objekt der Begierde: eine Rinne zwischen Zuckerhütl und dem Skigebiet des Stubaier Gletschers. An der steilsten Stelle wohl knapp an die 50° Grad steil und ca. 400hm lang. Wie zu erwarten, fanden wir eine extrem kompakte Unterlage, so kompakt, dass es einem schier die Plomben aus den Zähnen zog. Somit war wohl eher die Bewältigung der Rinne an sich als der Spaß an der Abfahrt das Highlight der Aktion. Und trotzdem war es richtig spaßig in alpinem Gelände unterwegs zu sein. Es musste mehr davon her. Beim Feierabendbier kratzten wir gedanklich alle Rinnen in der Umgebung zusammen, die sich durch die Adjektive steil, geil, schmal und gerade beschreiben ließen. 7 an der Zahl waren es am Ende.
An jedem der nächsten freien Tage stand jeweils eine oder auch mehrere dieser Lines auf dem Menü. Kaum hatten wir uns an die Bedingungen gewöhnt und unsere Winkelsprung Technik optimiert, rollte eine Schlechtwetterfront mit Schnee im Gepäck an. „Die steilen Dinger können wir jetzt erstmal abhaken,“ dachten wir uns. Als wir ein paar Tage nach dem Schneefall wieder auf den Brettern standen und die Sonne gute Arbeit geleistet hatte, merkten wir, dass der neu gefallene Schnee schon nach wenigen Tagen wie Honig in den steilen Rinnen klebte und sich erstaunlich gut mit der Altschneedecke verbunden hatte. Also nichts wie weiter im Plan!
Unser „Training“ bei harten Bedingungen im steilen Gelände hatte sich definitiv ausgezahlt. Durch den Neuschnee konnten wir das Tempo langsam steigern und die Rinnen deutlich flüssiger fahren als noch vor ein paar Tagen.
Es war angerichtet: Die Line war im Kopf und die Bedingungen perfekt für eine beherzte Vollgasfahrt. Genau darin liegt wohl auch die Schwierigkeit, wenn man Rinnen richtig fahren will: Eine Rinne, die man aufgrund der Steilheit und Länge zuvor meist mit der einen oder anderen Pause zwischendrin im Kurzschwung bewältigt hatte, auf einmal deutlich schneller zu befahren. Das gibt einem immer wieder ein mulmiges Gefühl. „Was, wenn der Schnee im Mittelteil doch anders ist als erwartet?“, „Was, wenn ich doch auf einen Stein fahre und es mir den Ski verreißt?“, „Was, wenn der Speed unkontrollierbar wird?“ Das sind nur ein paar der Gedanken, die einem in diesem Moment durch den Kopf schießen. Im Kurzschwung ist es in der Regel kein Problem, innerhalb von wenigen Metern zum Stehen zu kommen, wenn es brenzlig wird. In so steilen Couloirs ist zwar das Tempo mit größeren Schwüngen immer noch einigermaßen zu kontrollieren, jedoch ist ein sicheres Anhalten in einer engen Rinne nicht mehr möglich. „Wird schon schiefgehen,“ dachte ich mir, Körpergewicht nach vorne und schon ging‘s los.
Aber seht selbst. Ein perfekter Abschluss einer perfekten Saison: 7 Spring Lines!
INFO BOX
REBELRIDECREW.
Fabian Spindler, Philipp Müller, Tim Marcour und Tobias Hoffmann formen zusammen die Rebelridecrew. Die vier Freunde machen im Winter mit spannenden Freerideprojekten auf sich aufmerksam, im Sommer zieht es sie mit Mountainbikes in die Berge. Eines bleibt dabei jedoch immer gleich: Die Liebe zur Natur.
- Stubaier Gletscher
www.stubaier-gletscher.com - Kaunertaler Gletscher
www.kaunertaler-gletscher.at - Axamer Lizum
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