Bergstolz Issue No. 102

22 ENGELBERG Bergstolz Ski & Bike Magazin • 12 | 2021 wiese. Und deswegen nennt er diesen Flecken Erde auch ganz bewusst Heimat. Während er 1999 seine erste Saison in Chamonix mit neun anderen auf 21 Quadratmetern verbrachte – „Es stank. Morgens. Mittags. Abends.“ – schnappt er sich heute nach dem Familienfrühstück sein Rad, um damit die fünf Minuten zur Talstation zu fahren. Wenige Minuten später steht er in einer der atemberaubendsten Ski-Destinationen mit den spektakulären Offpist-Abfahrten. „Das, was für die Wellenreiter Hawaii ist, das ist für uns Freerider Engelberg“, sagt Oskar. Ohnehin sind die Medien von dem einzigartigen Spielplatz begeistert. Das englische „Snowmagazine“ fabuliert von einem „Skifahren im Schweizer Himmel“ und „Skigebiete-Test“, das ist so etwas wie „Stiftung Warentest“ (Slogan: Unabhängig. Objektiv. Unbestechlich) unter den WinterDestinationen – schwärmt in höchsten Tönen: „Einzigartige Freeride-Routen, unberührte Natur, imposante Berg-Gipfel – das alles erwartet dich in Engelberg“. Und selbst der chronisch nüchterne „Spiegel“ lässt sich für das „Mekka der Freerider“ begeistern. Wie heißt der „Spiegel“-Slogan von Gründer Rudolf Augstein noch mal? „Sagen, was ist“. Was ist denn so besonders an Engelberg, seinem Schnee und dem Klima? Gian Darms, Head of Ski Patrol, gibt die Antwort: „Unser Tal hat einen guten Winkel und erzeugt dadurch einen Staueffekt“, erklärt der ehemalige Avalanche Forecaster der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL. Aha. Und das heißt jetzt was genau? Die zwei häufigsten Windrichtungen – und damit Schneebringer – seien in der Schweiz West- und Nordwestströmungen. Und genau diese beiden Niederschlags-Varianten würden in Engelberg in Form von ganz viel weißem Glück herunterkommen. Aha, kapiert. Für Darms bedeutet das im Winter ganz viel Arbeit, für Freerider ganz viel Spaß. Denn: Gut 70 Prozent aller Pisten in EngelbergTitlis befinden sich in der Lawinen-und Gefahrenzone und müssen daher abgesichert werden. Kein einfacher Job. Aus zwei Gründen: Zum einen herrschen in Engelberg zwei verschiedene Klimazonen. Zum anderen deutliche Temperaturunterschiede. Ein Beispiel: Wer den „Galtiberg“ mit nördlicher Ausrichtung im Tiefschnee runtersurft kommt auf 2.000 Meter Höhenunterschied. Das bedeutet: Oben ist’s ganz schön kalt, unten ganz schön warm. Solche Temperaturunterschiede gibt es in Afrika nicht. Dafür hat der Kontinent mit Engelberg eines gemein: Die legendären „Big Five“, also Löwe, Leopard, Elefant, Büffel und Nashorn. Gleichnamig sind auch die fünf Varianten-Abfahrten im zentralschweizerischen Alpendorf. Dickhäutig wie das Nashorn ist der „Steinberg“, königlich wie der Löwe der „Galtiberg“ und groß wie ein Elefant das „Lau b“. Dann gibt es noch den Büffel, das „Sulz“ und den Leoparden, das „Steintäli“. Was Oskar an allen fünf verschiedenen Viechern gefällt: Sie sind alle bequem mit der Bahn zu erreichen. Seine ersten Ski-Fotos macht Oskar mit dem Bruder seiner damaligen Freundin Sandra: Roman Marti. Gute Fotos, aber nichts, wovon man leben könnte. Im darauffolgenden Winter trifft er zufällig Gösta Fries, einen schwedischen Profi-Fotografen. Enander erinnert sich: „Ich stehe Februar 2003 mit meinem Foto-Rucksack an der Talstation. Genau in dem Moment steigt Gösta in den Lift und fragt, ob ich nicht mitkommen möchte. Natürlich wollte ich. Ich hielt mich tagelang im Hintergrund auf und knipste so ein bisschen mit.“ Am letzten Shooting-Tag sitzen Gösta und Enander in einer kleinen Grotte, die über ihnen mit Eiszapfen übersät ist. Sie wissen, dass gleich Kalle Eriksson über die Grotte springen wird. Nur wo genau, das wissen sie nicht. Oskar hat das Glück, dass der Skifahrer genau über ihn drüber fliegt. Eine bessere Perspektive gibt es nicht. Das Foto schickt er – auf gut Glück – ans „Powder Magazine“. Acht Monate später steht Oskar Enander in Aspen auf einer Bühne: Sein Eiszapfen-Shot wurde zum „Photo of the year“ gekürt. „Es war wie im Film. Gösta bin ich bis heute unendlich dankbar, dass er mich, den unknown photographer, überhaupt mitnahm“, sagt Enander. Sein Leben, so sagt er, ist seitdem ein Geschenk. Während er in Alaska die meisten Fotos aus dem Helikopter schießt, entstehen in Engelberg fast alle Bilder vom Boden aus. Und das hat einen entscheidenden Vorteil: Er ist selbst im Schnee. Seiner Frau Silje erklärt Oskar das am Morgen immer so: „Schatz, ich muss jetzt gleich los, schließlich muss ich mich noch ein bisschen einfahren.“ So schafft er es ziemlich perfekt, Hobby und Beruf zu vereinen. Mit Erfolg. Das liegt an seiner Bildsprache. „Das Spiel mit Sonne und Schatten ist schon ein gewisses Alleinstellungsmerkmal von mir“, sagt er und erklärt: „Ich schaue mir die Geografie, die Sonne, die Berge, die Lichtverhältnisse an – dann versuche ich alles wie ein Dirigent miteinander zu verbinden. Wenn mir das gelingt, sind wie im Orchester alle glücklich: Streicher, Bläser, einfach alle.“ Roman Lachner, Chefredakteur der „Prime Skiing“, beschreibt diesen Stil so: Nicht die Action des Athleten stehe im Vordergrund, sondern die Ästhetik des Augenblicks. Lachners Lieblingsbild stammt von einem Nordhang. „Ich schwöre: Da gab es nicht einen Sonnenstrahl. Er hat so lange gewartet, bis der Gegenhang für ganz kurze Zeit Licht auf seinen Nordhang reflektierte“, sagt Lachner. „Das ist mehr als Fotografie. Das ist Kunst.“ Für Lachner ist es daher kein Wunder, dass der Exil-Schwede ein MagazinCover nach dem anderen für die Ski-Magazine dieser Welt produziert. Enander sammelt nicht nur Cover wie andere Briefmarken, er gewinnt auch noch viele Preise. Das prestigeträchtige „Powder Magazine“ wählte seine Bilder bereits mehrmals zum „Foto des Jahres“, das Internationale Freeride Film Festival „iF3“ kürte ihn zum „European Photographer of the year 2013“. Fast jeden Tag fährt er alleine oder mit einem Spitzen-Freerider hoch und schaut, was geht. Und an überragenden Skifahrern mangelt es in dem Freeride-Dorf nicht: Johan Jonsson verbringt jede Saison etliche Wochen in Engelberg, ebenso der Lokal-Matador Piers Solomon und Henrik Windstedt, der 2008 die Freeride World Tour gewann. Mit ihnen arbeitet er am liebsten zusammen. „Sie sehen unisono alle das Bild, das ich machen will, genauso vor Augen wie ich. Sie wissen, wann sie losfahren müssen, sie wissen auf den Zentimeter genau, wann der Schnee so stauben soll, damit am Ende alle glücklich sind“, erklärt er. Die meisten seiner Bilder macht Enander in Engelberg – von den geschätzt 160.000 Fotos auf seiner Festplatte „werden es schon ca. 130.000 von Engelberg sein“. Das liegt auch daran, dass jeder Platz in Engelberg ein Foto-Hotspot ist. „Wenn ich in die Knie gehe, sieht das Bild gleich ganz anders aus, nur durch den veränderten Winkel. Fragen Sie mal lieber, wo man hier nicht fotografieren kann. Das ist einfacher.“ Einfach ist es auch seine Landsleute zu treffen, denn die Ski Lodge in Engelberg ist nicht nur Oskars „zweites Wohnzimmer“, sie gilt auch als DER Treffpunkt der Freerider. Die beiden Chefs Niklas und Eric hatten schon während ihres Studiums in Stockholm den Traum ein Hotel zu führen. Doch wie es im Leben manchmal so

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