Bergstolz Issue No. 102

ENGELBERG 23 ist, manchmal verliert man seine Träume aus den Augen. Das ist auch Niklas und Eric passiert. Der eine arbeitete als Banker, der andere als Werber. In ihrer Freizeit trafen sie sich entweder auf dem Gipfel eines schneebedeckten Vulkans in Chile, beim Motorschlittenfahren in den Rocky Mountains oder auf einem Gletscher in Chamonix. „Irgendwann landeten sie aber wie alle guten Freerider auch in Engelberg“, sagt Oskar. Durch Zufall erfuhren Niklas und Eric, dass ein altes, heruntergekommenes Hotel zum Verkauf stand. Warum also das Glück auf der Welt suchen, wenn es vor einem steht? „Die Ski-Lodge wurde von Menschen gegründet, die Berge und Skifahren mehr lieben als alles andere auf der Welt“, heißt es auf der Homepage. Die Leidenschaft für steile Hänge und tiefen Pulverschnee führte zu „gebrochenen Daumen, wütenden Freundinnen und unvergesslichen Momenten“. Und deswegen besucht Oskar fast jeden Tag seine Freunde. Im Sommer spielen seine Kinder auf dem Spielplatz, seine Frau und er genießen die Sonne. ImWinter braucht er sich mit Ski-Kollegen erst gar nicht zu verabreden. Ein Arbeitstag könnte hier nicht besser sein. Morgens fährt er mit dem Rad zur Arbeit, ist den ganzen Tag an der frischen Luft, trinkt dann in der Ski-Lodge noch ein Bier und auf dem Nachhauseweg holt er sich in der Roastery noch einen Kaffee. Und dann hat er ab dem späten Nachmittag Zeit für seine Kids. „Geht es komfortabler und schöner?“, fragt er. Jake Bogoch, Redakteur des renommierten „Outside“-Magazins, ist bestimmter: „Gehen Sie dorthin und beten Sie für Schneestabilität und dafür, dass einer der vielen ‚verpflanzten Schweden‘ Sie herumführt, damit Sie nicht aus dem Gleichgewicht geraten.“ Apropos Outside: Wenn Oskar mal nicht zu Hause fotografiert, dann zieht es ihn nach Haines, Alaska. Japan findet Enander hingegen gar nicht so gut wie viele andere Fotografen. „Der Schnee ist zwar wirklich der absolute Knaller, das Gelände ist aber bei Weitem nicht so sensationell und steil wie in Alaska.“ Am liebsten aber ist er zu Hause in Engelberg, bei seiner Frau und den beiden Töchtern. Dort findet er in den Powder-Monaten, also Dezember und Januar, zwischen 11 und 15 Uhr das perfekte Sonne-Schatten-Schauspiel vor. Eigentlich dann, wenn kein Fotograf auf dieser Welt seiner Arbeit nachgehen würde, weil das Licht viel zu flach ist. Enander aber kennt keinen Ort auf der Welt, wo es über mehrere Monate so tolles Licht hat wie in Engelberg. Und deswegen hat er fast immer seinen Foto-Rucksack mit drei Objektiven sowie seiner kompletten Sicherheitsausrüstung mit dabei. Genügend Zeit hat er allemal: Die Bergbahn ist eine der wenigen auf der Welt, die von Oktober bis Mai offen hat. Allein diese Wintersaison 2021/22 sind es 226 Tage. Rekord. Die Industrie liebt Enanders Meisterwerke. Die größte Aufmerksamkeit erzielte er mit der Philips-Kampagne. Überall auf der Welt sahen die Menschen Eric Hjorleifson, Daron Rahlves & Co., die mit 4.000-Watt-Leuchten behängt, nachts im Tiefschnee durch die Bäume flitzen. Enander sagt: „Die schwierigsten Aufnahmen meines Lebens.“ Knapp 5.000 Kilo Gewicht musste die Crew jeden Abend auf den Berg schleppen, jede Nacht zwölf Stunden shooten. Das Problem: Die Skifahrer strahlten, funkelten und blitzten wie Christbäume. Und er wusste oft gar nicht, auf welchen Punkt er seine Kamera scharf stellen sollte. Alles hat geleuchtet. Am Ende waren dennoch alle glücklich über die bunten Bilder. Auch Enander, obwohl er selbst gar nicht so genau wusste, was auf den Bildern zu sehen war. Denn Oskar Enander ist farbenblind. Schon als Fünfjähriger Knirps hatte er beim Malen ständig die Farben verwechselt. Seiner Mutter war klar: Der kleine Oskar kann einige Farben gar nicht erkennen. Ist das nicht ein Problem beim Fotografieren? Ganz und gar nicht, antwortet Enander. Er könne ja erkennen, dass es irgendeine Farbe sei, er wisse nur nicht, welche. Doch imWinter sei das alles kein Problem. Dann würden mit dem Sonne-Schatten-Spiel ohnehin nur die Farben weiß und blau dominieren – also weißer Schnee und blauer Schatten. Zu den Fahrern sagt er: „Leute, zieht bitte ein kräftiges Gelb oder ein sattes Rot an.“ Der Kontrast sieht auf den Bildern immer besser aus – auch wenn er nicht genau weiß, wie. Beeinflusst die Farbenblindheit seinen Stil? Auf diese Frage hat er keine Antwort. „Ich war ja zuerst farbenblind, habe erst dann angefangen zu fotografieren.“ Für ihn sei das ja alles normal. Normal sind seine Bilder nicht. Würde es in Hollywood einen „Oscar“ für Ski-Fotografen geben, Oskar Enander würde ihn gewinnen, sagt Schrader, der 25 Jahre in der Jury des „Sportfoto des Jahres“ war. Oskar selbst ist – typisch skandinavisch – ein bescheidener Mensch. Auf die Frage, ob er schon mal das perfekte Bild gemacht hätte, sagt er: „Ich habe schon ein paar ganz gute gemacht, das perfekte war noch nicht dabei. Mit denen, die ich aber schon gemacht habe, kann ich ganz gut leben.“ Foto-Juror Schrader, der selbst durch sein Bild des legendären „Boris-Becker-Hechts“ imWimbledon-Finale berühmt wurde, widerspricht Enanders Understatement: „Seine Farbenblindheit ist es wohl, die ihm zu dieser unnachahmlichen grafischen Strenge seiner Fotografie verhilft. Und zu sagenhaften Fotos, die von der Schönheit des Skifahrens erzählen.“ Ganz nach dem SpiegelMotto: Sagen, was ist. Was war aber selbst der wichtigste Punkt in seinem Leben? „Die beste Entscheidung war, nicht als Ingenieur zu arbeiten.“ The End. OSKAR ENANDER www.oskarenander.com

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