„Am Limit“
Wir erzählen heute die Geschichte von einem, der auszog um zu
gewinnen. Der einfach der Beste sein wollte – und nach unzähligen
Erfolgen als bester deutscher Downhiller aller Zeiten gilt. Der immer
an seine Grenzen ging und diese auch überschritt, wovon viele
schwere Verletzungen zeugen. Der sich aufs Bike setzte, um ein Leben
am Limit zu führen. Wir erzählen heute die Geschichte von Marcus
Klausmann.
Marcus‘ Karriere startete 1982: Im zarten Alter von fünf Jahren begann
er mit dem Fahrrad Trialen. Inspiriert durch seinen Vater, der Enduro
Motorrad und Motorrad Trial fuhr bekam Marcus sein erstes Bike und
nahm auch sofort an Wettbewerben teil. Er war gut, sogar sehr gut, und
konnte bereits 1991 mit nur 14 Jahren einen seiner größten Erfolge
feiern: den Bike Trial Weltmeistertitel. Das Talent Marcus Klausmann
kürte sich im darauffolgenden Jahr dann auch noch gleich zum Doppel-
weltmeister. Was gab es für ihn in dieser Sportart noch zu gewinnen?
Nicht viel – eine Veränderung stand an.
Er wollte etwas Neues, etwas Anderes machen – und setzte sich aufs
Rennrad. Nur für sich zu fahren, sagte ihm nicht zu, und so nahm er bald
an Straßenrennen teil, wo sich seine Sprintqualitäten zeigten. Damit es
nicht allzu langweilig wurde, fuhr er imWinter Querfeldeinrennen. Somit
war auch die Basis für eine erfolgreiche Mountainbike-Karriere gelegt.
Sein erstes Downhillrennen fuhr er in Mindelheim, hier fand das XC
Bundesliga Rennen statt und auch ein Downhillsprintrennen. Benecke,
Eckmann, Sprich die nationale Downhill Elite war hier am Start. Marcus
wurde in der Qualifikation gleich mal Erster. Der damalige Bundestrainer
Hr. Jürgens hatte da schon ein Auge auf ihn geworfen, war der doch
auch Trainer der Querfeldeinfahrer und kannte ihn daher schon. Er lud
ihn ein, bereits am nächsten Wochenende in Cap d’Ail einen Lauf zum
Downhill Worldcup zu bestreiten. Es gab nur ein kleines Problem: Mar-
cus brauchte eine Sondergenehmigung, da er erst 14 Jahre alt war und
somit eigentlich zu jung um dort zu starten. Nach Erledigung dieser For-
malitäten stand seiner Teilnahme aber nichts mehr im Weg. Auf der be-
rüchtigten und anspruchsvollen Strecke musste der junge Downhiller in
seinem ersten Weltcup-Lauf ordentlich Lehrgeld zahlen, stürzte mehr-
mals. Nach diesem denkwürdigen Start verlief das Jahr für Marcus aber
sehr erfolgreich und er konnte den Vizeweltmeistertitel bei den Junioren
holen. Die Richtung war also nach diesem ersten Jahr bei den Moun-
tainbikern schon klar, und Marcus sollte dem Downhillsport die nächsten
zwei Jahrzehnte und darüber hinaus treu bleiben.
Ein Jahr später, 1994, wollte Marcus Klausmann bei der Weltmeister-
schaft in Vail / Colorado – klar, eigentlich – gewinnen. Es reichte aber
diesmal „nur“ für den siebten Platz. 1995 dann Heim-WM in Kirchzar-
ten. Marcus fuhr in der Quali die schnellste Zeit, der Druck war entspre-
chend groß. Sein größter Widersacher war zu der Zeit kein geringerer
als Nicolas Vouilloz. Der konnte sich im Rennen dann auch vor Marcus
behaupten. Der Franzose war der herausragende Downhiller seiner Zeit:
als dreifacher Junioren-Weltmeister fügte er seinen Meriten zwischen
1995 und 2002 sage und schreibe sieben weitere WM-Titel und fünf
Gesamtweltcup-Siege im Downhill hinzu. Im Jahr 1996 trat Marcus
Klausmann dann als Elite Fahrer an und wurde in dem Jahr prompt wie-
der Vize-Weltmeister - natürlich wieder hinter Nicolas Vouilloz. In dieser
Saison gewann er auch in Nevegal sein erstes Weltcup-Rennen.
So verlief seine gesamte Downhill Karriere mit vielen Höhen und Tiefen,
aber auch mit Niederlagen und vielen schweren Verletzungen:
relativ klassisch ein Kreuzbandriss und eine ausgekugelte Schulter,
dramatischer eine Blutvergiftung und ein Genickbruch, bei dem er knapp
an einer Querschnittslähmung vorbei schlitterte. Trotzdem kam er jedes
Mal wieder zurück. „Ich bin auch vom Charakter her so, dass ich mich
nicht so schnell unterkriegen lasse. Ich kann mit Niederlagen umgehen,
die gehören dazu. Man muss sie akzeptieren, wie sie sind und dann das
Beste daraus machen und versuchen, sich wieder zurückzukämpfen“,
sagt Klausmann.
Er platzierte sich in den Jahren darauf immer unter den ersten Zehn der
Weltcup Gesamtwertung und gehört bis 2013 zur absoluten Weltspitze
dazu. Er konnte insgesamt 15 Deutsche Meistertitel im Downhill in den
Jahren 1997 - 2013 gewinnen. 2012 hatte er wieder mit gesundheitli-
chen Problemen zu kämpfen, ein Herzschrittmacher musste ihm einge-
setzt werden. Auch wenn ihm seine Ärzte zusicherten, dass er weiterhin
ganz normal Downhill-Rennen bestreiten könne, zog er sich aus dem
Weltcup zurück. Nach seinemWechsel auf Nox Cycles nahm er ab 2015
vermehrt an Endurorennen teil: „Ich bin ein leidenschaftlicher Downhil-
ler und Endurist!“, sagt er selbst. 2016 dann aber der erneute Rück-
schlag: Marcus bekam Vorhofflimmern. Daraufhin setzte der Racer aus
Leidenschaft zwangsweise einen Schlusspunkt unter seine langjährige
erfolgreiche Rennkarriere. „Ich muss zugeben, dass sich mein Ego nur
sehr langsam an das gewöhnliche Leben fernab der Rennstrecken, ohne
Adrenalin und Männerschweiß gewöhnt. Es war mein Alltag, Körper und
Geist darauf zu trimmen, die eigenen Grenzen zu ignorieren, immer noch
einen Schritt weiter zu gehen (auch wenn es verdammt schmerzte),
um ein Leben am Limit zu führen. Für viele hört sich das nach Irrsinn an
– für mich war es über Jahre normal und ich habe es geliebt.“
Ende 2016 wechselte Marcus dann nicht nur nochmals die Fahrrad-
marke, sondern gewissermaßen auch die Seiten: seitdem ist er Marken-
botschafter und Nachwuchscoach der Propain Gravity Kids. Mit seinem
Unternehmen MK Suspensions bietet er Federgabel- und Dämpferset-
tings und –service an, außerdem Fahrtechnikkurse. Seine neuen Auf-
gaben erleichtern dem Vollblutracer ein wenig den Abschied aus dem
Renngeschehen. An allererster Stelle steht aber nun seine Familie. Die
Möglichkeit besteht durchaus, dass der Name Klausmann auch zukünftig
wieder auf den MTB-Siegerlisten zu finden sein wird – Klausmann Junior
fährt leidenschaftlich. „Mein Sohn ist jetzt in dem Alter, dass er sagt
‚Papa, geh mit mir Radfahren!‘ und eigentlich bin ich froh, dass er da
auch Lust drauf hat. So richtig forcieren möchte ich‘s aber nicht, weil
dann macht man es von Herzen. Bei meinem Vater war das sicherlich
ganz genauso.“ Der deutsche Downhillsport war über zwei Jahrzehnte
eng mit Marcus Klausmann verbunden, und diese Liaison wird wohl
noch etwas länger dauern. Auch wenn er selbst nicht mehr auf den
Siegertreppchen zu finden sein wird.
www.marcusklausmann.deKLAUSMANN
BERGSTOLZ BikeMagazin AUGUST 2017 | Seite 23




