Bergstolz Issue No. 41 - page 15

JUGENDHERGERGSTOUR
BERGSTOLZ Bike Magazin Juli 2013 | Seite 15
Sich regen bringt Segen? Hier
hat es eher Regen gebracht –
auf 1700 Metern ist Zwangs-
pause am Spitzingsee.
So hatten sie sich das irgendwie nicht vorgestellt. Nicht so schön, zumindest. Und nicht so
abwechslungsreich. Und leider auch nicht so nass: Es gießt in Strömen. Der Spitzingsee ist
eine dunkle schwarz-braune Soße. Dabei ist er eigentlich ein Postkartenidyll. Aber nicht heute.
Heute ist er eher eine Regenfalle.Was irgendwie auch wieder gut ist. So drängen sich wenig-
stens keine Touristenmassen über die Seepromenade oder in den Cafés, keine Spazier-
Wanderer auf den Straßen. Ein ruhiger Freitag Nachmittag. Und die dunklenWolken zwischen
Aiplspitz, Taubenstein und Rotwand im Osten, Brecherspitz, Bodenschneid und Stümpfling im
Westen sorgen dafür, dass es das auch bleibt.Tief hängen sie und entladen ihre feuchte Fracht
konstant über dem dunklen See. Gut, dass Michi und Luis rechtzeitig einen Unterstand gefun-
den haben. Müde sitzen sie vor der altenWurzhütte auf dem Gehsteig. Ihre verdreckten Bikes
lehnen an der Holzwand. Irgendwie scheint die Welt gerade eine Pause zu machen. Nur ver-
einzelt vorbeifahrende Autos stören die Stille.
Still war es überhaupt bisher. Nur selten haben die beiden Freunde andere Menschen getrof-
fen. Auch das hatten sie sich so nicht vorgestellt, als sie ihre Route durch die beliebten
Münchner Hausberge geplant hatten. Drei Tage lang wollen sie per Mountainbike durch das
bayerische Oberland radeln. Von Jugendherberge zu Jugendherberge. Vorbei an den schön-
sten Flecken, die die Berge zwischen Isar und Leitzach zu bieten haben. Denn die kennen sie
bislang kaum.
Michi ist Allgäuer. Und bikeverrückt. „So wie meine ganze WG“, lacht er. Der 24-Jährige lebt
mit sechs Kumpels auf einem Bauernhof in der Nähe von Bolsterlang. Alle sind vom Bikevirus
infiziert, haben sogar einen kleinen Bikepark hinter dem Hof gebaut – zum Trainieren. Im
Sommer arbeitet Michi als Bikeguide, führt Transalps und arbeitet in einem Bikeshop. Auch
privat biket er am liebsten im Allgäu. Deswegen kennt er die Münchner Hausberge kaum –
außer vom Skifahren. Luis hingegen stammt aus demWürmtal, kennt Ruchenköpfe & Co. vom
Klettern mit seinen Freunden oder seinem Vater, der Kletter-Fachübungsleiter ist. Aber mit
dem Bike war Luis dort noch nicht unterwegs – doch das ändert sich jetzt. Das Biken hat er
im Ausland entdeckt. Als Schüler in Kanada fuhr er für sein lokales Highschool-Team MTB-
Rennen. Wieder zu Hause hat Luis sich ein eigenes Rad gekauft, das bald wieder in der Ecke
landete – weil der 20-Jährige auf Weltreise ging. Jetzt ist er zurück und will wissen, ob er
auch größere Strecken per Bike bewältigen kann.
Diese Neugier und diese Lust auf Abenteuer verbindet die beiden unterschiedlichen
Charaktere. Michi hätte das bei einem Lawinenunglück in Kanada fast einmal mit seinem
Leben bezahlt. Beim Auschecken einer Bowl in Revelstoke, BC, ist er mit einer Wechte abge-
stürzt. Hat sich mehrfach überschlagen und wurde teilweise sogar verschüttet –
Handyempfang Fehlanzeige. Mit gebrochenen Wirbel und Ferse lief er acht Stunden in die
Zivilisation zurück und überlebte. Glück gehabt. Jetzt soll es wieder eine große Anstrengung
werden, aber diesmal ohne Lebensgefahr. Darum gehen die beiden Jungs gemeinsam auf
Tour und erkunden drei Tage lang die Bayerischen Alpen – von West nach Ost, von Lenggries
nach Bayrischzell.
Donnerstag Nachmittag, Hauptbahnhof München. Mit leichtem Gepäck und Bikes fahren sie
mit der Bayerischen Oberlandbahn nach Lenggries. In der komplett renovierten, gemütlich
modernen Jugendherberge wollen Michi und Luis die Nacht verbringen, bevor sie früh mor-
gens losradeln. Dafür müssen sie vor Ort allerdings erst im Jugendherbergswerk Mitglied wer-
den. Denn auch die anderen Nächte wollen sie in Jugendherbergen verbringen. Nachdem die
beiden Bikes im Radlkeller verstaut sind, und die Jungs ihr Zimmer bezogen haben, zieht es
sie in den gemütlichen Speisesaal. Es duftet nach Karamell – der Kaiserschmarrn lockt in die
Küche. Und so gönnen sich die Zwei zuerst frische Vitamine vom Salatbuffet, dann eine
Kartoffelsuppe und anschließend eine ordentliche Portion der Mehlspeise. Schließlich wollen
morgen 1700 Höhenmeter und 50 Kilometer nach Josefsthal am Schliersee bewältigt wer-
den. Bevor die beiden allerdings ins Bett hüpfen, lockern sie noch schnell ihre Gliedmaßen
und kurbeln ihre Verdauung an: Michi zockt Luis ein paar Sätze lang im Tischtennis ab. Die
Nacht ist ruhig, von den drei Schulklassen aus Weilheim und Bruchsal hört man nicht viel,
vom Regen leider schon …
Dementsprechend wenig Laune auf Biken macht das Wetter am nächsten Morgen:
Dauerregen, grau in grau. Da sorgt auch die Prognose nicht für Aufheiterung. Also wird der
Start verschoben und das Frühstück entsprechend ausgedehnt. Was beiden nicht schwerfällt,
angesichts des reichhaltigen Angebots. Um zehn Uhr ist es endlich soweit: Der Regen hat auf-
gehört, es ist nur noch bewölkt. Herbergsvater Uwe Siebrich wünscht Michi und Luis eine
gute Reise: „Und grüßt mir den Stefan Jobst in Josefsthal…“, gibt er ihnen noch mit auf den
Weg. Dann rollen sie in ihren Regenjacken davon in Richtung Seekarkreuz. Durchs dampfige
Hirschbachtal geht es anfangs die gemächliche, später steile Schotterstraße bergauf. Am
Hirschtalsattel ist für Michi und Luis das erste Etappenziel noch nicht ganz erreicht. Während
eine Gruppe Biker Pause macht, bevor sie den Trail durch den Stinkergraben hinabfährt, müs-
sen Luis und Michi noch weiter bergauf. Bis zum Sattel kurz unterhalb des Seekarkreuzes –
mit Blick auf die einsame Rauhalm, an der die rasante Abfahrt vorbei führt. Spätestens nach
der Furt dort wird klar, dass heute kein Auge und schon gar keine Jacke trocken bleiben wird.
Was als Wasser nicht von oben kommt, findet als Dreck und Kuhmist von unten seinen Weg
auf Mensch und Material.
Im Tal gilt es noch den von einem kleinen Rinnsal zu einem „echten“ Bach angeschwollenen
Gurnbach zu überqueren – gar nicht so leicht ohne Steg oder Brücke. Aber auch diese
Herausforderung meistern die beiden Abenteurer. Im Söllbachtal haben sie sich ihre Pause auf
der Schwarzentennalm wohl verdient: Serviert werden Kasknödel auf Kraut – inklusive
Wartezeit. Denn die andere Biker-Gruppe hat inzwischen auch den Weg herauf gefunden.
Doch das Warten lohnt sich, denn das Essen ist phänomenal. Und die Kraft brauchen die zwei
Jungs auch. Für den nächsten Anstieg zum Leonhardstein – demWahrzeichen über Kreuth –
und dem anschließenden Trail hinab. Ein abwechslungsreicher Ride durch hohe Farne und
über anspruchsvolle Wurzel-Stein-Passagen, bis man schließlich oberhalb der Kreuther Kirche
im Tal anlangt. Michis Grinsen spricht Bände, Luis aufgeschlagene Beine auch – seine
gekonnte Japaner-Rolle über den Lenker hat Schlimmeres verhindert. Gemütlich fahren die
beiden Voralpendurchquerer nun weiter bergab an der Weissach entlang und um den
Wallberg herum. Ab Enterrottach meldet sich ein alter Begleiter wieder: Das schlechte Wetter
schiebt sich über den Stümpfling und mahnt zur Eile. Dank Teerauf- und -abfahrt über Moni-
Alm und Valepp ist die Albert-Link-Hütte kurz vor dem Spitzingsee bald erreicht …
Droben am See startet der Wolkenbruch. Eigentlich passt Michi und Luis diese Zwangspause
nicht so recht ins Konzept. Lieber wären sie den Trail hinunter nach Josefsthal noch gefahren,
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