Bergstolz Issue No. 111

52 KNOW-HOW Bergstolz Ski & Bike Magazin • 01 | 2023 KNOW-HOW mit Eva Walkner Foto: Birgit Ertl Das Kreuz mit dem Kreuzband Für meine Know-How-Reihe nehme ich mich diesmal einem Thema an, mit dem ich mich zeit meines Lebens sehr viel auseinandersetzen musste und welches für Betroffene durchaus lebensbestimmend werden kann: Sportverletzungen. Beinahe jeder Sportler war schon mal mehr oder weniger schwer verletzt. Wenn nicht, dann gehört man zu den wenigen Glücklichen! Was qualifiziert mich nun, diesen Beitrag zu schreiben? Ich würde sagen: Meine Erfahrungen. Drei Kreuzbandrisse, eine Arthrofibrose und ein Zyklops als Komplikation meiner letzten Kreuzband OP, eine Thrombose, weil mir die kanadische Ärztin den Blutverdünner für den Heimflug verweigert hatte, sowie ein kaputter Meniskus machen insgesamt sechs Knie-Operationen. Rippenfraktur (6 Rippen), Pneumothorax (eine Rippe ist durch die Lunge), Milz und Niere geprellt bzw. leicht verletzt machen in Summe die Leistungsfähigkeit einer 95- Jährigen. Schulterbruch, gerissene Syndesmose, gerissenes Seitenband, chronische Entzündungen an den Handgelenken und Schienbeinen aufgrund von Übertraining, und weil ich starke Schmerzen einfach ignoriert habe, Knorpelschaden und der Riss meiner Daumenstreckersehne – Ihr seht, ich habe viel Lebenszeit am OP-Tisch, mit Reha und Comebacks verbracht. Wie ich es geschafft habe, heute noch auf einem hohen Niveau Ski zu fahren? Mit viel Fleiß, einer guten Körperwahrnehmung, einem guten Physiotherapeuten – den ich im Interview-Teil mit Fragen löchere – und natürlich kleinen Einschränkungen. Nach drei Tagen auf Schnee brauche ich einen Tag Pause. Verletzungen sind immer besch...eiden und verzichtbar, gehören aber zum Skisport. Was sind nun die ersten Schritte nach einer Verletzung? Wer viel Outdoorsport betreibt und noch keine private Unfallversicherung hat, dem empfehle ich eine. Immer wieder berichten mir Leute von langen Wartezeiten auf MRI-, OP- oder Physio-Termine. Für mich ist das immer sehr erschreckend. Ein Wahlarzt oder -physio ist nicht per se besser als sein Kassenpendant, aber die Wartezeit macht oft den entscheidenden Unterschied: Im Heilungsprozess macht es, besonders in der Frühphase nach einer Verletzung, einen massiven Unterschied, ob man Stunden, Tage, Wochen oder sogar Monate auf einen Termin warten muss! Meistens könnte vom medizinischen Standpunkt bereits nach wenigen Tagen mit der Therapie gestartet werden, Kassentherapeuten haben aber oft sehr lange Wartelisten. Zusätzlich ist es erfahrungsgemäß auch so, dass sie stärker auf Masse arbeiten müssen und weniger Zeit aktiv am Patienten verbringen können als ein Wahltherapeut. Gerade bei Verletzungen wie einem Kreuzbandriss oder einer Schulterluxation sind engmaschige Therapieeinheiten und ein dichtes Therapieprogramm aber sehr wichtig. Dasselbe gilt für Ärzte, wobei einige sehr gute sowohl auf Kasse als auch privat operieren. Die Wartezeiten machen auch hier den Unterschied. Chris gibt im Interview ein paar Tipps, wie man den richtigen Arzt bzw. Physio für sich findet. Meine Erfahrung dazu: Verlass Dich auch auf Dein Gespür. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass der Therapeut gewechselt wird. Sich bei Ärzten eine zweite oder dritte Meinung einzuholen, ist ebenfalls etwas ganz Normales. Dazu möchte ich eine passende Erfahrung schildern: Ich war nach meinem dritten Kreuzbandriss bei einem der bekanntesten Physiotherapeuten Österreichs. Er hatte den erfolgreichsten Sportler des Landes betreut, was sollte da schon schief gehen?! Ständige Rauch- und Telefonpausen während der Behandlung, eine mittelmäßige therapeutische Betreuung, dauernde Absagen bzw. Verschiebungen von Terminen und das unaufhörliche Ablästern über Kollegen und mein damaliges Trainingszentrum vermittelten mir ein zunehmend schlechtes Gefühl und eine negative Stimmung. Ich machte keinerlei Fortschritte, fühlte mich weder wohl noch gut aufgehoben und hab schließlich nach vier Einheiten abgebrochen und gewechselt. Ergo: Auch wenn nach außen alles top aussieht – Vertrauen in das eigenes Gespür hat immer noch oberste Priorität, um ans Ziel zu kommen. Und dann gilt: Fleiß, Motivation und eine positive Einstellung führen definitiv schneller ans Ziel. Wer faul ist, seine Hausaufgaben nicht erledigt, der muss sich auf eine längere Heilphase oder Rückschläge gefasst machen. Mein Tipp: Durchziehen! Ich setze mir ein Ziel, einen Gipfel, der mich herausfordert, und der Weg dorthin ist steinig und lang. Um motiviert zu bleiben hilft es der Psyche ungemein, sich kleine Zwischenziele zu setzen. Ich habe mich während meiner Reha ganz auf meinen Gipfel konzentriert: Den ersten Platz beim ersten Rennen in der FWT nach meiner zweijährigen Verletzungspause und den Gesamttitel. Ich habe diesen einen Run gefühlt 100 Mal während meiner Ausdauereinheiten visualisiert, und dazu das Gefühl des Gewinnens. So intensiv und real, dass während der Laufrunde die Freudentränen kamen. Die Geschichte ist dann exakt so passiert, wie ich sie mir im Kopf ein Jahr lang zusammengebaut hatte. Die Psyche, die richtige Einstellung und diese kleinen Erfolgserlebnisse beim Erreichen der Etappenziele spielen in der Reha eine wesentliche Rolle. Ein weiteres Learning: Sportärzte bzw. Sportphysios haben ein ganz anderes Verständnis für Heilungsphasen und Zeitpläne als man selbst. Oft reißt ein Kreuzband nach ein paar Monaten gleich nochmal, weil der Kopf zwar schon soweit war, der Körper aber nicht. Stress und Ungeduld sind extrem kontraproduktiv in der Heilungsphase, auch für das vegetative Nervensystem. Vertraut Eurem Physio und macht keine unsinnigen Alleingänge ohne Absprachen. Ich kann ein Lied von dummen Aktionen trällern und muss nun mit vielen chronischen Problemen leben. Und das Wichtigste zum Schluss: Lasst Euch nicht unterkriegen und bleibt positiv! Eure Eva Verletzung & Reha 10 Tipps beim Kreuzbandriss: 1. Wenn ihr intensiv Outdoorsport betreibt, dann kommt ihr um eine OP nicht herum! Viele versuchen es zu Beginn ohne, aber früher oder später kommen die meisten drauf, dass es einfach nicht funktioniert, sondern z.B. auch noch der Meniskus beschädigt wird. Ohne OP bleibt eine gewisse Instabilität bestehen. 2. Ihr müsst euch für eine Technik entscheiden. Die gängigsten „Transplantate“ sind die Patellasehne und Semitendinosus. Mittlerweile werden auch Kreuzbänder von Leichen verwendet, damit gibt es sehr gute Erfahrungen. Ich hab mich für die Patellasehne entschieden. 3. Entweder bevor die Schwellung zu stark wird, also sofort nach dem Riss operieren gehen oder aber warten bis sie zurückgegangen ist. Dies dauert meistens 4 – 8 Wochen. 4. Geht zu einem Spezialisten. Ein Arzt, der 100 Kreuzbänder im Jahr operiert, hat einfach mehr Erfahrung als einer, der nur fünf macht. 5. 50% eines guten Heilungsverlaufs liegen am Physio. Geht also zu einem Therapeuten, dem ihr vertraut und der sich mit dieser Sportverletzung auskennt. 6. Nicht unterkriegen lassen. Es wird Höhen und Tiefen geben in eurer Reha. Aber egal wie schwer es einem manchmal fällt positiv zu bleiben, Fleiß und Durchhaltevermögen sind das Wichtigste. Euer Knie wird es euch später danken. 7. Nicht übertreiben. Vielen geht es nach der OP schon so gut, dass sie glauben, sie können mehr tun als ihr Knie bereit ist. Der Boss ist immer noch das Knie und wenn ihr euch keine böse Entzündung einfangen wollt, dann übertreibt es in den ersten Wochen Post-OP nicht. 8. Muskelaufbau. Es ist wichtig die Muskulatur rundherum wieder aufzubauen, bevor ihr das erste Mal auf Schnee geht. 9. Hört auf Euer Gefühl und Euren Körper und seid nicht zu ungeduldig. Ein Kreuzbandriss ist im Sport zwar eine Routineverletzung, aber trotzdem nimmt die Rekonvaleszenz eine lange Zeit in Anspruch. 10.Das Knie wird zwar nie wieder so wie zuvor, trotzdem, nach einer intensiven Reha, mit einer guten Muskulatur und einer gewissen mentalen Stärke werdet ihr im kommenden Winter wieder viel Spaß haben.

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