Bergstolz Issue No. 111

38 NORWEGEN Bergstolz Ski & Bike Magazin • 01 | 2023 Ready – steady – drop in! Auf halbem Weg nach unten finde ich mich in einer 55 Grad steilen Flanke wieder, hacke beide Eispickel in den Schnee und navigiere durch Fels- und Eisschollen. Ich war noch nie so präsent in der Gegenwart und fokussiert. Ich habe das Gefühl, dass all die Jahre, die ich auf meinem Board verbracht habe, genau auf diesen Moment hinauslaufen. Ist das das Gefühl, das ich vermisst habe? Ich nähere mich Finn an und wir diskutieren die Lawinensituation. Er meint, dass sich der Schnee aufgrund der fehlenden Spannung wahrscheinlich nur unter unseren Füßen lösen wird. Etwas beruhigt und sicherer fahren wir in den Haupt-Gully ein – das Schlimmste ist überstanden. Immer noch sind die Verhältnisse sehr sketchy, Finn löst auf sämtlichen Spines Lawinen aus. Glücklicherweise sollte er recht behalten, und der Schnee löst sich aufgrund der fehlenden Spannung nur unter seinen Füßen. It’s my turn again. Ich springe in kurzen Schwüngen über den harten Schnee über dem großen Cliff in der Mitte des Couloirs.Wenn man hier das Gleichgewicht verliert, ist es höchstwahrscheinlich vorbei. Ich fahre über die Spine, um in einen engen Gully einzufahren, als plötzlich meine Kanten zu springen beginnen. Der Boden beginnt sich zu bewegen und ich rutsche etliche Meter einfach mit, bevor meine Kanten glücklicherweise wieder Grip bekommen. Ich bleibe stehen, checke meine Umgebung auf mehr Schnee, der sich bewegt, ich atme schwer. Alles sieht okay aus. Der nächste Abschnitt: Eine entscheidende Traverse, die man hinbekommen sollte. Am Ende des engen Gullys gibt es einen kleinen Drop. Die Schneelage ist dünn. Ich habe keine andere Wahl, als mich an meinen beiden Eisäxten festzuklammern und runterzurutschen. Jetzt stehe ich am Rand, schaue auf den Rest der Rinne hinunter und erhasche einen Blick auf die letzte offene Flanke. Die Line ist eindeutig und gut einzusehen bis zum Ende hin. Ich drehe mein Board und springe. Ich brauche genug Geschwindigkeit für die Querung. In meiner eigenen Line aus Finns Spuren heraus bekomme ich den Schnee richtig zu spüren, und es ist richtig slabby. Ich löse mehrere Schneebretter auf den Spines aus, manche größer, andere kleiner. Schließlich nähere ich mich meinem Safe Spot und weiß, dass ich aus der Gefahrenzone bin. Es bleibt mir nur, auf meine Buddies zu warten. Obwohl wir erst die Hälfte des Weges hinter uns haben, kommt es mir vor, als wären wir schon ewig in diesem Face. Der letzte Abschnitt ist eine große Rinne mit fluffigem Schnee, versteckten Sharks und einem riesigen Cliff zum Abschluss. Stürzen ist keine Option. Wir genießen die herrlichen Schwünge in der Rinne, und die Crew macht einen wirklich guten Job, indem sie von einem sicheren Standplatz zum nächsten navigiert. Es ist jetzt sechs Uhr morgens und mein Körper fühlt sich erschöpft an, nachdem ich die ganze Nacht unterwegs war. Ich muss mich wirklich davon abhalten, mir vorzustellen, wie es sich anfühlen wird, wieder unten in Sicherheit zu sein. Als es an mir ist, die Führung im unteren Teil zu übernehmen, bin ich wieder voll fokussiert. Die Schneebretter im oberen Teil haben definitiv Eindruck hinterlassen, und so guide ich unsere Gruppe langsam und mit Bedacht. Wir nähern uns dem letzten Teil der Wand. Über Funk sagt Finn, dass es gut aussieht und wir einfach den ganzenWeg bis zum Gletscher hinunterfahren sollten. Ich mache es ihm nach und fahre los, nehme Tempo auf und mache Big Turns. Am Gletscher komme ich mit Highspeed an, und als ich mich umdrehe, um unsere Spuren auszumachen, ist das nicht möglich – zu massiv ist dieses Face. Als wir auf dem Gletscher wieder zusammenkommen, platzen wir alle vor Aufregung. Wir jubeln und umarmen uns und diskutieren über die verschiedenen Abschnitte unseres Abstiegs. In diesem Moment fühle ich mich vollkommen zufrieden, erfüllt und vor allem glücklich. Ich erlaube mir, die erfolgreiche Befahrung der Südwand ein paar Tage lang zu genießen, bevor ich an meine zwei verbleibenden Lines erinnert werde. Erst ein Drittel des Projekts ist abgeschlossen! Also schaue ich nach demWetter, indem ich nach einem Fenster Ausschau halte, sehe eines und packe meine Tasche…

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