Bergstolz Issue No. 102

48 R I DERPROFI LE Bergstolz Ski & Bike Magazin • 12 | 2021 Wer sowohl X Games Gold als auch eine Olympische Goldmedaille zuhause hängen hat – übrigens im Badezimmer – kann wohl getrost als „sehr erfolgreich“ bezeichnet werden. Skifahrer*innen, die dermaßen viel Edelmetall gesammelt haben, stammen meistens aus der klassische Alpinschule: Skiclub als Kleinkind, viele Jahre Training zwischen roten und blauen Toren, Wahl einer Ski-Schule, Kader. Und dann Weltcup Zirkus. Und dann gibt’s noch Sarah Höfflin. Die 30-jährige Schweizerin, die in Genf geboren und etwas außerhalb in Founex aufgewachsen ist, stand zwar bereits mit drei Jahren auf Ski. Mit zwölf allerdings übersiedelte sie nach England. Während sie als Kind am liebsten „Hühnerfänger“ geworden wäre – „Mein älterer Bruder Julian erklärte mir, dass man da viel Geld verdienen könne, weil alle Menschen zu Weihnachten Hühnchen essen würden.“ – setzte sich bald der Wunsch nach einem anderen Beruf durch: „Ich wollte Ärztin werden. Unbedingt. Ich habe meine gesamte Teenagerzeit damit vergeudet, mich auf die Medizin-Uni vorzubereiten“, erinnert sie sich. Als ich mein Abitur in der Tasche hatte, mit den besten Noten der gesamten Schule, bewarb ich mich an verschiedenen Unis, wurde aber nirgendwo angenommen.“ Ein erster Rückschlag, der Sarahs herangehen an Herausforderungen zukünftig stark prägen sollte. Selbstverständlich bekam sie dann doch noch einen Studienplatz, und so ist sie heute der einzige Freestyle-Pro mit einem Abschluss in Neurowissenschaften. „In meinem ersten Jahr auf der Uni in Cardiff entdeckte ich Freestyle. Ich war 20, als ich damit begann, und ich war sofort süchtig.“ Sie machte ihren Abschluss 2013, fuhr am Wochenende Ski, und erklärte schließlich ihren Eltern, „dass ich jetzt nach dem Studium nur einen Winter eine Skisaison in den Alpen machen wollte. Eine Saison Spaß haben, danach würde ich mir einen ‚richtigen Job‘ suchen.“ Sie kam nach Tignes und hatte „den besten Winter meines Lebens: Ein 13m² großes Zimmer und total pleite, aber ich konnte Skifahren und das Wetter war immer super – entweder schien die Sonne oder es schneite.“ Sie fuhr zurück nach England, nahm eine Arbeitsstelle an, „die ich hasste“, und entschied, noch einen zweiten Skiwinter anzuhängen. In dieser zweiten Skisaison nahm sie - mit 24 Jahren - an ihrem allerersten Contest teil. „Ich war hypernervös, weil ich wusste, dass das Swiss Ski Team da war. Und ich crashte brachial.“ Sie muss die Coaches dennoch beeindruckt haben, denn danach wollten sie Sarah für das Swiss Ski Team haben. Und im Mai 2015 war sie Teil desselben. „Ich dachte wirklich ‚Wow Sarah! Jetzt bist Du ein Ski-Profi! Wie geil!‘ aber ganz so schnell ging es dann doch nicht. Im November riss ich mir das Kreuzband. Neun Monate Reha lagen vor mir, und meine Zukunft als weltreisender Freestyle-Pro schien unendlich weit entfernt“, erzählt sie von dieser schwierigen Zeit. „Ich habe kapiert, dass alles in einem Augenblick vorbei sein kann. Und dass es für mich nicht funktioniert, wenn ich mir hohe Ziele stecke, an denen ich zwangsläufig scheitern muss – denn es kann immer jemanden geben, der besser ist als ich, egal wie hart ich arbeite. Es hat gedauert, aber heute will ich einfach Spaß haben beim Skifahren, und ich will gut Skifahren. Ich will neue Tricks lernen. Und wenn‘s nicht gleich klappt, trainiere ich sie eben noch ein bisschen länger.“ Diese Herangehensweise hat sich ausgezahlt: 2017 debütiert sie im Weltcup, gewinnt ihre erste Kristallkugel im Slopestyle und qualifiziert sich für die Olympischen Winterspiele 2018 in Pyeongchang. Im Januar 2018 holt sie X Games Gold und fährt als eine der großen Favoritinnen nach Südkorea. Das Training lief nicht wie gewünscht: „Ich crashte viel und mein ganzer Körper schmerzte. Ich weiß ja nicht, wie andere Olympiasieger die Nacht vor ihrem großen Triumph verbracht haben, ich weinte jedenfalls eineinhalb Stunden am Telefon mit meinem Freund, bevor ich beschloss, mich locker zu machen und zur Bronzemedaillenparty von Scotty James zu gehen, um ein paar Gläser Wein zu trinken“, lacht sie. „Scotty hielt eine Ansprache, die so inspirierend war, dass ich am nächsten Morgen mit einem Lächeln aufwachte. It’s just skiing, wie mein Freund immer sagt.“ Der Rest ist Geschichte und Sarah seitdem Olympiasiegerin im Slopestyle. Hat man, wenn man alles gewonnen hat, eigentlich noch Ziele? „Ich weiß, dass viele Sportler nach einem großen Triumph in ein Loch fallen, aber nicht ich“, erklärt sie. „Erstens hab ich ja dann 2019 als erste Frau die Kristallkugel ein zweites Mal gewonnen, dazu 2x Silber bei den X Games 2019 und 2020. Zweitens hab ich mein Skifahren weiterentwickelt, wie man z.B. im Faction Team Movie ‚The Collective‘ sieht, für den ich mit dem Best Female Edit Award von Newschoolers ausgezeichnet wurde. Und drittens – und das ist das wichtigste: Ich fahre nicht Ski, um zu gewinnen. Ich fahre Ski, um Spaß zu haben!“ Alter: 30 Homespot: Chamonix bzw. Leysin und Val Thorens / Frankreich Beruf: Profiskifahrerin Sponsoren: Monster Energy, Faction Skis, Columbia, POC, Leysin, F.P. Journe, Loyco, IMRO Erfolge: 2018 Gold Slopestyle Olympische Winterspiele Pyeongchang 2018 Goldmedaille Big Air X Games Aspen 2x FIS World Cup Gesamtsiegerin 2x Silber und 1x Bronze X Games Aspen 12x FIS World Cup Podium inkl. 3x Gold @sarahhoefflin www.sarahhoefflin.com SARAH HÖFFLIN „Have fun, ski well and ski smart“ Foto: Will Derrick Foto: Will Derrick Foto: Mark Chase

RkJQdWJsaXNoZXIy Mzk0ODY=