16 NORWEGEN Bergstolz Ski & Bike Magazin • 06 |2023 Bislang war meine Erfahrung der letzten Expeditionen immer, dass etwas Dummes währenddessen passiert. Diesmal schien es allerdings schon von Anfang an verhext. Bei meiner ersten Fahrradtour durch die entlegensten Ecken im Pamir 2015 ging meine Schaltung kaputt und ich musste 2000km mit drei Gängen fahren. Und bei einem Bikerafting Trip in Yakutien durfte mein damaliger Reisekompagnon zuschauen, wie ich fast im Wildwasser ertrunken wäre. „Ich habe mir den Daumen zertrümmert.“ sagt Patrick leise. Etwa eine Woche vor unserer Abreise nach Norwegen, scheint uns das Karma nicht zu wohl gesonnen zu sein. Denn auch dieses Mal ist es von Vorteil, gesunde Daumen zu haben – fürs Rad- und Skifahren. Im Winter. Mit allem, was dazu gehört – Zelt, Kocher, autonom, aus eigener Kraft. Die Tage vergehen und ein weiteres Mal zeigt uns die Erfahrung auch: Das Glück ist mit den Dummen. Problemlos wird Patrick nach ein paar Tagen am Daumen operiert. Der Arzt ist nur halbwegs begeistert von unserem Vorhaben. Wir starten leicht verzögert mit Titanplatte, Daumenschiene, einem modifizierten Fahrrad nach Norden. Damit Patrick mit seiner gesunden Hand schalten kann, bauen wir kurzerhand die Schaltung um. Leider mussten wir vom ursprünglichen Plan, mit dem Zug von Nürnberg nach Oslo zu fahren, abweichen und packen zwei Fahrräder, Skitouren Equipment und alles weitere ins Auto. Norwegen, ein Land der Kontraste, hat uns schon seit einer geraumen Zeit in den Bann gezogen. Allerdings bislang nur im Sommer, vom Nordkap radelnd (Kilian 2021) und zum Nordkap hin (Patrick 2018) war für uns beide schon spannend. Und im Winter verwandelt sich Norwegen zwar in ein Skifahrerparadies, allerdings mit erschwerten Bedingungen für alle Strecken, die wir mit dem Rad zurücklegen wollen. Wie wir später herausfinden dürfen. Und das wären nach Plan etwas um die 2000km. Unsere zweirädrige Reise beginnt in Oslo, mit einem weiteren zeitlichen Verzug, da sich nach zwei Tagen Schneefall der erste nördliche Pass nach Hønefoss als nicht befahrbar erweist. Zumindest nicht mit dem Rad. Mitte März erregt das schlechte Wetter in Norwegen natürlich keine Gemüter – verglichen mit dem Anblick, den wir wohl hinterlassen haben. Die Norweger selbst sind sogar erstaunt und wünschen uns in regelmäßigen Abständen „Good Luck!“ als wir ihnen von dem Vorhaben berichten. Unser erstes Zwischenziel ist die Gegend um Hemsedal, ein bekanntes Wintersportgebiet, welches wir nach vier Tagen auf dem Rad erreichen. Diese ersten 230 Kilometer lehren uns Demut, denn die Reisegeschwindigkeit ist überschaubar schnell. Zu den ungeräumten Radwegen, eisglatten Nebenstraßen und dem unbeständigen Wetter gesellt sich unser schweres Fahrrad. Und dass, obwohl wir die Ausrüstung schon auf ein absolutes Minimum reduziert haben. Die Skitourenausrüstung, Zelt, Schlafsäcke, Kameras, eine Drohne und Lawinenausrüstung passen auf die Räder und alle möglichen Lücken sind gefüllt mit Lebensmitteln. Geschätzt wiegt das Rad in voller Ausstattung etwa 50kg. Wie wir auch nach wenigen Tagen feststellen dürfen, brauchen wir auch deutlich mehr Energie als sonst. Mit Temperaturen um den Gefrierpunkt und nächtlichen Minus-Graden friert es uns schnell. Unsere Motivation, früh aus dem Schlafsack in die Kälte zu steigen, ist holprig, während wir tagsüber auf dem schweren Rad schnell ins Schwitzen kommen. Eine ungünstige Kombination, denn trocknen lässt sich die nasse Kleidung kaum. In Hemsedal erwartet uns ein kleiner Vorgeschmack auf die anstehenden Tourenverhältnisse: schon seit Anfang des Winters herrscht in ganz Norwegen eine schwierige Lawinensituation. Auslöser dafür ist eine Schwachschicht, die in ungünstigen Lagen eine hohe Instabilität mit sich bringt. Und die Wettervorhersagen bringen noch mehr Schnee in den kommenden Tagen. Zeitweise ist die Sicht bei unserer ersten Tour so schlecht, dass sich Himmel und Erde nicht mehr unterscheiden lässt und wir dankend im Wald abfahren. Die Bäume sind unsere einzige Referenz für die Formen der Landschaft. Die ersten Kurven ziehen wir im frischen Pulverschnee. Die Mühen haben sich gelohnt! Im Supermarkt kaufen wir hier ein paar Dosen teures Bier. Dass sollte die kleine Operation etwas erleichtern, die Patrick über sich ergehen lassen muss. Zwei Wochen sind seit seiner Daumenoperation vergangen und die Wundnähte müssen entfernt werden. Zum Glück haben wir im Heizungsraum eines ausgestorbenen Campingplatzes etwas Schutz und Licht gefunden. Patricks Daumen hat die Strapazen der ersten Woche auf dem Rad gut überstanden und die Wundheilung ist gut. Uns zieht es nach ein paar Tagen weiter gen Norden in Richtung Sogndal und auch hier zeigt sich, wie schwer die Reiseplanung ist. Bei schlechtem Wetter
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