Bergstolz Issue No. 108

28 R I DERPROFI LE Bergstolz Ski & Bike Magazin • 06 | 2022 Alter: 20 Homespot: Skigebiete um Innsbruck je nach den besten Schneebedingungen, Zillertal/Mayrhofen Beruf: Studentin - Mechatronik und Atmosphärenwissenschaften Sponsoren: Kästle, AquaNovoBoot Erfolge: 3. Platz Freeride Junior World Championship 2019 4. Platz Freeride Junior World Championship 2021 2. Platz Freeride Junior Tour 3* Fieberbrunn 1. Platz FJT Kappl 2*, 12. Platz Verbier 4* FWQ 9. Platz Bruson 3* FWQ, 15. Platz La Rosière 4* FWQ Ziele: wieder Contests fahren, aber entspannter und mit weniger Druck Media: @jil.lehnert JIL LEHNERT „Höher, weiter, besser war bei mir bisher immer ein großes Thema“ Foto: Privat Foto: Chris Riefenberg Foto: Markus Rist „Ich bin gerade dabei, meine Ziele neu auszurichten“, eröffnet Jil Lehnert unser Interview. Für eine 20-Jährige mit erklecklicher Contest-Erfahrung etwas überraschend, ist doch für die Erdingerin bisher in Punkto Skifahren alles ziemlich straight forward gelaufen. Aufgewachsen mit zwei Brüdern und Skibegeisterten Eltern, steht Jil schon in sehr jungen Jahren auf den Brettern, die ihr die Welt bedeuten sollten: „Wir sind alle drei Skirennen gefahren“, erinnert sie sich. „Als Familie waren wir immer gemeinsam in den Bergen. Mir hat das viel Spaß gemacht: In den Bergen zu sein, Ski zu fahren, und auch die Rennen, in denen ich mich mit anderen messen konnte. Ich bin sehr ehrgeizig, und dass ich schnell gemerkt habe, dass ich vorne mitfahren und auch mal was gewinnen konnte, hat mich sehr motiviert.“ Irgendwann nahm ihr Vater sie und ihren älteren Bruder mit ins Gelände, und Jil erlebte ein ganz anderes Skifahren: „Freeriden ist viel freier, und auch das Skigefühl selbst ist ein komplett anderes“, schwärmt sie. „Das hat mich wahnsinnig gereizt.“ Ihr älterer Bruder begann, Contests zu fahren. „,Ich kann das auch!‘ hab ich mir gedacht. Ich bin da dann gut reingerutscht und direkt vorne mitgefahren. Das hat mich motiviert“, erzählt sie weiter. „Der Gedanke, dass ich gut dabei bin, aber es auch noch viele Dinge gibt, in denen ich mich verbessern kann. Zum Beispiel waren Sprünge für mich eine komplett neue Welt. Mich da ranzutasten hat mir richtig Spaß gemacht.“ Es dauert nicht lange, und Familie Lehnert ist bei Junior Contests mit drei Startern vertreten – durchaus erfolgreich. „Bei mir ging es stets bergauf, bei der WM landete ich 2021 auf dem 4. Platz. Dadurch hab ichmich für die 4*-Qualifier qualifiziert“, erinnert sie sich an die Zeit vor ziemlich genau einem Jahr zurück. „Für mich war das kaum zu begreifen, wie schnell das Skifahren plötzlichmehr Raum inmeinemLeben einnahm, als ichmir jemals vorgestellt hätte.“ Auch wenn ihre erste 4*-Platzierung enttäuschend war, war sie zufrieden: „Ich bin beim allerletzten Sprung gestürzt. Aber ich bin richtig gut gefahren, eine Line, die gut zu mir gepasst hat, und hab begriffen, dass ich da wirklich was verloren habe.“ Sie hält inne: „Höher, schneller, weiter – das war bei mir schon immer ein großes Thema.“ Und dann erzählt sie von einem Skitourentag vergangenen Winter, an dem sie mit einem Freund am Gegenhang einen Lawinenabgang beobachtet hat, der mehrere Menschen unter sich begrub. Sie erzählt von der Erstsuche am Lawinenkegel, von ihrer ersten, unmittelbaren Erfahrung mit einer Lawine. Und Jil erzählt davon, wie sehr sie das aus der Bahn geworfen hat: „Man weiß vom Risiko, man sieht Filme, aber man ist nicht gewappnet. Dieses Erlebnis hat mich stärker umgehauen, als ich es jemals für möglich gehalten hätte.“ Wenig später ist an einen Start bei Contests nicht mehr zu denken: „Zehn Minuten vor dem Start bekam ich aus dem Nichts eine Panikattacke. Mein Kopf hat komplett zugemacht, da ging nichts mehr. Ich wollte das zuerst nicht begreifen, dass ich das nicht mehr machen konnte, nur, weil mein Kopf Angst hat.“ Als die Angst aber beginnt, sie auch imAlltag einzuschränken, war klar, dass Feuer amDach ist: „Meine Mama hat Alarm geschlagen. Da wollte ich das noch lieber runterspielen. Als mir klar wurde, dass ich die Saison beenden werde müssen, hab ich mir professionelle Hilfe geholt. Ich wusste alleine einfach nicht mehr weiter.“ Bei Jil wurde schließlich eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Ein paar Monate später sieht sie das Trauma an sich gut bewältigt, aber immer noch große Aufgaben vor sich: „Durch dieses Erlebnis wurde mir erst klar, wie viel Druck ich mir selbst beimContestfahren gemacht habe: ,Dumusst da gut sein!‘ Zusätzlich war auch mein Alltag immer vollgepackt. Deshalb dreht sich bei mir gerade alles darum, weg vom reinen Leistungsdenken zu kommen und meine Ziele neu auszurichten“, „Vielleicht muss ich gar nicht immer an meinem krassesten Limit fahren, um was zu erreichen? Vielleicht ist es auch einfach genug, so Ski zu fahren, wie es mir gut tut, und Spaß zu haben?“ Sie selbst sagt, dass sie sich imMoment ein bisschen „unstimmig“ fühlt, was wohl jedem bekannt vorkommen wird, der selbst schonmal eine einschneidende persönliche Veränderung erleben durfte. „Ich weiß noch nicht genau, wie mein Weg weiter aussieht, denn inWahrheit träume auch ich immer noch von der Freeride World Tour. Ich bin mir aber nicht mehr sicher, ob ich diesem Ziel tatsächlich alles unterordnen will und muss“, beschreibt sie ihre Gedanken. „Ich möchte jedenfalls wieder Contests fahren, aber ohne den krassen Druck, dass ich da unbedingt gut sein und gewinnen muss.“ Und schließt ab: „Das hätte ich ohne dieses Erlebnis, und was es inmir ausgelöst hat, nicht begriffen.“

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