Bergstolz Issue No. 107

30 VENTIMIGL IA Bergstolz Ski & Bike Magazin • 05 | 2022 Aber wie das so ist mit Plänen: Erstens kommt es anders, und zweitens, als man denkt… Zwei Wochen vor Abfahrt riss sich Christoph bei einem Sturz die Sehne am Daumen an und fiel für den Trip aus. Was nun, das Ganze absagen? Nein! Ich griff zum Telefon und rief meinen alten Kumpel Robert an, der eigentlich nie Zeit hat zum Biken, da er immer viel arbeitet. Aber weil er auch die letzten beiden Jahre mit in Ligurien dabei war, versuchte ich einfach mein Glück. „Verlockend ist es ja schon, das wird sicher gut“, meinte Robert. Nach einem Tag Bedenkzeit sagte er zu und wir starteten durch. Bella Italia, jetzt kommen wir wirklich! Es war bereits November, bei uns nicht mehr gerade das beste Wetter zum Biken. In Ventimiglia angekommen, mussten wir feststellen, dass auch dort einige Campingplätze schon zu hatten. Nach zwei glücklosen Versuchen haben wir dann 200 Meter entfernt vom Strand einen gefunden. Perfekt für uns, denn genau das Feeling wollten wir haben: Zuerst biken und danach am Meer entspannen. Nach der ersten Nacht ging es auf die erste Erkundungsrunde. Ich hatte schon ein wenig Trailscouting betrieben und so fuhren wir nach Dolceaqua und von hier die Berge hoch. Nach einer langen Auffahrt erklommen wir auf einem ausgefahrenen Karrenweg den Gipfel des Monte Erisetta. Robert war als alter Trailmotorradspezialist auf der steilen, technischen Auffahrt sehr optimistisch unterwegs, überschlug sich an einer Steilstufe rückwärts und krachte voll auf die Hüfte. Nun ging es doch schiebend weiter, es war zu grob und zu steil, um weiterzufahren. Staunend erkannten wir, dass wir Enduro-Motorradland betreten hatten: Mountainbiker trafen wir keine, aber dafür etliche Motocross- und Endurofahrer. Nach dieser schweißtreibenden E-Bike Schiebeaktion kamen wir endlich direkt am Gipfel an und erblickten einen wunderbaren Trail. Er schlängelte sich von Bergrücken zu Bergrücken und den Hintergrund bildete natürlich das ligurische Meer. Die Abfahrt hatte es in sich. Sehr felsig, steil und verblockt ging es hinunter. Der Vorteil war, dass dadurch die Motorräder keine tiefen Spurrillen in die Erde gruben. Trotzdem ist es ein ganz anderes Fahren hier, als in unseren heimischen Gefilden. So führten uns die ersten Trails bis nach Camporosso und zurück ans Meer, wo wir bei einem Aperitivo den Sonnenuntergang genossen. Am zweiten Tag haben wir uns eine Ganztagesrunde auf den Monte Grammondo vorgenommen. Der liegt direkt an der französischen Grenze und ist der höchstaufragende Gipfel vom Meer aus gesehen. Uns erwartete eine ewig lange Auffahrt, die noch dazu umso schlechter wurde, je höher wir kamen. Zum Schluss ging es über kopfgroße Felsbrocken und wir waren sehr dankbar über unsere E-Bikes, mit denen wir geradeso mit dem letzten Kraftaufwand die Kiste noch am Fahren hielten. Oben am Sattel, zirka 50 Höhenmeter unter dem Gipfel, legten wir eine Rast ein. Wir hatten von hier einen gigantischen Ausblick hinüber nach Frankreich, ins Argentina Tal und auf das in der Ferne glitzernde Meer. Vor uns nun eine ewig lange technische Abfahrt, und Felsen, soweit das Auge reicht. Am Anfang sehr viel loses Geröll, dann im Gestrüpp viele Felsstufen und Dornensträucher, unsere Langarmshirt waren schon ganz schön zerfetzt, aber besser als blutige Arme. Man könnte die Abfahrt auch den Dornenweg nennen. Ein paar Mal kamen wir nah an die französische Grenze und der Trail führt stetig weiter in Richtung Meer. Im unteren Bereich gibt es Gottseidank keine Dornen mehr – dafür einen Haufen Jäger. Sie kampierten hier in Scharen und fragten uns recht erstaunt, ob wir uns sicher wären, gerade diesen Weg zu befahren: „Der ist steil und felsig, hier kann man auf keinen Fall fahren!“ Als wir bejahten, boten sie uns noch ein Glas Rotwein an und wünschten uns viel Glück – daran könnten sich unsere heimischen Jäger durchaus ein Beispiel nehmen… Bald merkten wir, was sie gemeint hatten: Im freien Handstand gings sehr steil und verblockt direkt ans Meer hinunter.

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