bergstolz

SVALBARD - SPITZBERG


Abenteuer - Skitouren auf 78 ° Nord in Svalbard:  Unterwegs mit Schiff und Ski im natürlichen Habitat des Ursus maritimus (Vulgo Eisbär)
Text: Ulrich Steiner / Fotos: Brad Hays 

Es gibt Skifahrer, die ihre Ski spätestens 
Mitte April im Keller einmotten, um sich dann
Sommerfreizeitaktivitäten hinzugeben. 

Und dann gibt es uns… 

Zusammen mit meinem französischen Bergführer-Kollegen Pierre Muller und 12 weiteren Skitourenfanatikern landen wir Anfang Mai mit einem SAS-Flieger am Flughafen von Longyearbyen, dem Hauptort auf Svalbard mit ca. 2500 ganzjährigen Bewohnern. Seit dem Spitzbergenvertrag von 1920 kümmert sich Norwegen federführend um die Verwaltung des rund 60.000 Quadratkilometer großen Archipels.  Hier, rund 1000 km südlich vom Nordpol, werden wir die nächsten 8 Tage vom Schiff aus Skitouren in der Arktis unternehmen.

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Bevor wir in See stechen, haben Pierre und ich noch ein Date im Sportgeschäft, um die vorbestellten Waffen abzuholen. Warum? Weil hier in Spitzbergen etwa 3500 Eisbären leben! Sobald man Longyearbyen verlässt, muss man zur Selbstverteidigung ein Gewehr mitführen. Zwischenfälle mit Bären sind zum Glück selten - enden aber in der Regel fatal, wenn man sich nicht adäquat verteidigen kann. Auf unserem letzten gemeinsamen Svalbardausflug  2022 hatten wir das „Glück“ (oder war es Pech?), keinen einzigen Bären zu Gesicht zu bekommen - neben phantastischen Erlebnissen zu Wasser und im Schnee ein Grund mehr für mich, an diesen wunderschönen Ort zurückzukehren. 

Und dann ist da nochRasmus – der dänische Kapitän unseres Dreimasters, der seit über 20 Jahren durch die eisigen Gewässer zwischen Norwegen - Grönland und Sva-lbard schippert. Die SV Linden  ist ein richtiges Schmuckstück – ein Segelschiff, das eher einem schwimmenden Hotel gleicht als einem klassischen Expeditionsschiff. Mit den drei hohen Masten und den robusten Segeln fühlt man sich fast wie in einem Abenteuerfilm, der mitten im 19. Jahrhundert spielt. Trotzdem gibt’s an Bord alles, was man für ein paar Tage in der Arktis braucht: von einem gemütlichen Aufenthaltsraum, wo man Highlights des Tages bei einem heißen Tee oder einem kühlen Bier Revue passieren lässt, bis hin zu einer gut ausgestatteten Kombüse, in der das eingespielte Kochteam für uns „arktische Spezialitäten“ zaubert.

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Bevor wir die SV Linden in die eisigen Gewässer entlassen, setzt Captain Rasmus ein ernstes Lächeln auf und führt uns durch das obligatorische Safety Briefing. Hier auf Spitzbergen hat Sicherheit oberste Priorität, und das wird schnell klar. Wenn die Alarmglocke bimmelt - wissen alle Bescheid: wir treffen uns auf Deck.  Neben den Schwimmwesten gibt es für jeden Passagier einen Überlebensanzug aus Neopren, der das Überleben im wenig über null Grad kalten Wasser über mehrere Stunden ermöglicht. Ein weiteres Highlight des Briefings ist der spezielle Hinweis auf das „Mann über Bord“-Szenario. Natürlich hat uns der Kapitän auch auf die weitere Arktisfauna hingewiesen – besonders die Walrosse! Diese imposanten Tiere sind zwar faul und wirken eher wie entspannte Strandurlauber, aber Vorsicht: Sie fressen alles, was sich ihnen in den Weg stellt. Vor zwei Jahren hatten wir großes Glück, als einer unserer Gäste nach einem Sprung ins kalte Nass gerade noch rechtzeitig die rettende Strickleiter erreichte, bevor ein Walross entschieden hatte, ihm etwas näher zu kommen. Mit einem „Huch, das war knapp!“ und einer schnellen Flucht an Bord wurde uns klar, dass es nicht nur Eisbären sind, die sich für uns interessieren. Ach ja, und bevor ich es vergesse: Jedes Mal, wenn wir nach der Sauna baden gehen, steht ein "Bademeister" mit Rettungsring parat, der im Notfall schnell eingreifen kann…

In diesem Jahr gibt’s auf Spitzbergen ein Phänomen, das die Expedition noch ein wenig spannender macht: Massen von Treibeis! Soweit das Auge reicht, schiebt sich das Eis in die Fjorde und versperrt uns den Weg. Als ob der Arktis-Winter noch ein bisschen länger bleiben möchte, zwingen uns die Eisschollen eine zusätzliche Nacht im Hafen von Longyearbyen zu verbringen. Wir machen das Beste aus der Situation und entschei-den uns für den Plan B.

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Mit unseren beiden Zodiacs (Greenpeace like Gummiboote ) überqueren wir kurzerhand den Fjord, um unseren ersten Skitourenausflug zu starten. Bei sehr mässigen Schneebedingungen und zu guter Letzt auch noch schlechter Sicht, lassen wir es auf einer unbenannten Graterhebung gut sein und tasten uns wieder hinunter zum Fjord. Skifahren am Ende der Welt bedeutet nicht immer automatisch beste Schneequalität. Wer auf der Suche nach den besten Schneebedingungen ist, bleibt besser zu Hause in den Alpen und steuert flexibel die Region mit dem potentiell besten Schnee an. Was hier zählt ist das Abenteuer in einer fantastischen Landschaft mit 24 Stunden Tageslicht. Ausgefroren, aber glücklich kommen wir pünktlich zum Abendessen wieder auf die Linden zurück. Die Passage aus dem Fjord ist mittlerweile eisfrei, und jetzt geht es endlich los. Rasmus steuert uns gekonnt in die wilden Gewässer der Arktis – und das bei malerischem Abendlicht, das den Horizont in ein unvergessliches Spektakel taucht. Was gibt es Schöneres?

In der Coles Bukta wartet unsere nächste Skitour auf uns, und bevor wir an Land gehen, gibt es noch das Briefing für den heutigen Tag: „Haltet ein Auge auf den Fjord – sollte sich das Packeis wieder in die Bucht drücken, kehrt sofort um! Sonst stehen wir schneller als uns lieb ist ohne Rückfahrticket da.“

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Vorbei an stillgelegten sowjetischen Bergbauanlagen aus den 60er Jahren (die in ihrer bizarren Schönheit die Landschaft fast wie ein Set aus einem postapokalyptischen Film wirken lassen) machen wir uns auf den Weg in das wilde Hinterland. Es geht durch weite Tundralandschaften und irgendwann gehts endlich bergauf. Ein formschöner Gipfel, der die Szenerie majestätisch überragt, wird spontan zum Ziel erklärt. Im diffusen Licht scheint der Gipfel zum Greifen nah – ein letzter Ansporn für die müden Beine, die sich nun doch spürbar melden. Der Wind frischt auf, und während wir uns bei einer kurzen Pause einen Riegel und eine Tasse Tee gönnen, moderiere ich vorsichtig an, dass es langsam Zeit wird, umzudrehen. Doch dann – eine Geländestufe weiter oben, stehen wir endlich am Gipfel! Wir genießen einen kurzen Triumphmoment, bis sich die Funkgeräte mit einem dringenden Update von der SV Linden melden: Der Westwind hat kräftig zugelegt und schiebt bereits eine gewaltige Menge Packeis in unsere Bucht! Mit einem Schlag ist uns klar: Wir müssen schnellstmöglich zurück. Die Abfahrt im windverpressten Schnee bringen wir zügig aber trotzdem auf Sicherheit bedacht hinter uns. Ein gebrochener Haxn wäre hier fernab der Zivilisation ein absoluter Super-Gau. Nach einigen Skating-Kilometern erreichen wir endlich das Ufer, wo uns das Zodiac schon erwartet. Sichtlich nervös mahnt uns Lukas zur Eile. Das Slalom-Abenteuer zwischen riesigen Eisschollen beginnt. Mit viel Glück erreichen wir die Linden gerade noch rechtzeitig, denn hinter uns schließt sich die Passage. 

Erst einmal fest im Eis eingeschlossen, können wir durchschnaufen – für die nächs-ten 36 Stunden heißt es: Pause im Packeis. Und was für eine! Dank unserer 5-Sterne-Versorgung an Bord fehlt es uns an nichts: Die Küche der SV Linden läuft zur Höchstform auf.  Während die Außenwelt vereist, entspannen wir uns mit Yoga, Saunieren und Eisbaden – der ultimative Mix, um müde Knochen zu reanimieren. Wer mag, darf heute auch mal in die Sea-Survival Anzüge steigen und zwischen den Eisschollen sicher hin und her hüpfen… 
Es fühlt sich fast an wie eine Zeitreise zu Nansens „Fram“-Expedition von 1893, als er sich mit seiner Crew im Eis einfrieren ließ und auf die Drift Richtung Nordpol hoffte. Und auch wenn wir dieses Abenteuer nur für kurze Zeit erleben, können wir ein bisschen nachvollziehen, wie er sich in dieser endlosen, faszinierenden Eiswüste gefühlt haben muss. Für die Zeit im Packeis ist das Buch „In Nacht und Eis“ von Fridtjof Nansen Pflichtlektüre – und auch, wenn wir vielleicht nicht ganz bis zum Nordpol treiben, wissen wir, dass wir etwas Einzigartiges erleben dürfen, das uns nachhaltig in Erinnerung bleiben wird.

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Endlich frei! Nach zwei Tagen im Packeis steuert Rasmus die SV Linden mit voller Fahrt quer über den Fjord in Richtung Borebukta. Im gleißenden Licht der Mitternachtssonne stehe ich warm eingepackt neben ihm am Steuerruder. Es ist einer dieser magischen Momente, die eine stille Dankbarkeit in mir aufkommen lassen – das Gefühl, genau hier und jetzt am richtigen Ort zu sein. Mit dem Fernglas scanne ich schon einmal die umliegenden Berge und prüfe potenzielle Abfahrtslinien für den morgigen Skiausflug.

Gegen 2 Uhr morgens mache ich mich dann doch auf - in meine verdunkelte Kajüte, um noch ein paar Stunden Schlaf zu finden. Am Morgen steht eine weitere Skitour auf dem Programm. Doch bevor wir an Land gehen, holt uns die arktische Realität schnell zurück: Rasmus erinnert uns eindringlich daran, dass wir auf unserer heutigen Route einen „klassischen Eisbären-Highway“ kreuzen. Die Gruppe muss heute noch enger beisammenbleiben und disziplinierter unterwegs sein als je zuvor. Das Zodiac kann uns eisbedingt nur an einer unübersichtlichen Stelle im kupierten Gelände absetzen. Um die Lage zu checken, gehe ich als Erster an Land. Mit den Skiern an den Füßen und dem Gewehr in der Hand versuche ich, ruhig zu bleiben, während ich zügig einen Hügel erklimme, um eine bessere Übersicht zu bekommen. Oben angekommen bin ich erleichtert – außer ein paar Rentieren in der Ferne ist weit und breit kein Eisbär zu sehen.Pierre, unser erfahrener Svalbard-Dinosaurier, der schon über zehn Expeditionen in dieser Region hinter sich hat, bringt es auf den Punkt: „I hate that fucking rifle! You always have to carry it – but you never need it!“ Nach den zwei Tagen Eiszwangpausen genießen wir heute einen langen Skitag mit mehreren herrlichen Abfahrten.

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Der nächste Tag begrüßt uns mit trüben, windigen Wetterverhältnissen. Tiefhän-gende Wolken und kräftiger Wind machen unsere geplante Tour unmöglich – also ist einmal mehr Improvisationsgeschick  gefragt. Doch eine Alternative ist schnell gefunden: Heute wagen wir uns in den wilden Gletscherbruch des Esmarch-Breen und durchqueren ihn von West nach Ost. Während wir uns vorsichtig durch die zerklüftete Eislandschaft bewegen, wird der Einfluss des Klimawandels spürbar. Besonders hier, wo die Erwärmung 6-mal höher ausfällt wie auf dem restlichen Planeten, sind die Gletscher spürbar betroffen. Spitzbergen beherbergt zwar noch rund 34.000 Quadratkilometer Gletscherfläche, was etwa 6 % der globalen Gletscherfläche ausmacht, doch diese faszinierenden Eismassen schrumpfen auch in dieser entlegenen Region unaufhaltsam dahin.

Am letzten Tag unserer Reise hat der Wettergott ein Einsehen mit uns. Über Nacht sind 20 cm frischer Pulverschnee gefallen, und die Sonne blitzt ab und zu hinter den Wolken hervor – ein perfekter Abschluss. Nach einem herzhaften Frühstück wechseln wir noch schnell hinüber in die Trygghamna-Bucht. Schon bei unserer Ankunft fällt auf, dass wir nicht die Einzigen sind, die den Wetterbericht verstanden haben: In der Bucht ankern noch drei weitere Boote. Doch wir haben die fittesten Gäste an Bord, und so ziehen wir bald eine einsame Spur durch die frisch verschneite Szenerie, hinauf in Richtung Protektorfjellet. Die Sonne verstärkt das Funkeln des frischen Schnees und verleiht der Landschaft etwas Magisches. Oben angekommen, genießen wir eine herrliche Abfahrt im unberührten Pulver.

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Auf halber Höhe fellen wir noch einmal auf und nehmen einen benachbarten Gipfel ins Visier. Hier werden wir mit einem atemberaubenden Ausblick belohnt – hinunter auf den Fjord und weit hinaus in die Barentssee. Es ist ein Moment voller Zufriedenheit und Staunen über die wilde, ungezähmte Schönheit Spitzbergens, die wir hier erleben dürfen. Dass es den Eisbären rund um Spitzbergen wohl doch gibt, sehen wir an eindeutigen Bärentatzen auf einer Eisscholle kurz bevor wir wieder sicher im Hafen von Longyear-byen einlaufen.   Wieder keinen Bären  live gesehen - macht nix. Wir kommen wieder und dann wird es klappen. 




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