bergstolz

LA BELLE VIE - VERBIER


An avalanche story in freeride skiing
Text: Christina Mack // Foto: Milos Jacobi

Die zwei Freerider Till Ewers und Franzi Rogg starten Anfang Dezember letzten Jahres in Innsbruck, denn Sie haben große Pläne für die vergangene Saison: Ein Projekt, das sie an spektakuläre Orte quer durch die Alpen führen soll. Während einer Reise von Innsbruck über Arlberg, Kaunertal und Verbier, mit dem Endziel Chamonix, wollen sie ihre Skills im Freeriden und vor allem Mountaineering erweitern. Dabei planen sie Orte zu erkunden, die nur zu Fuß und nicht per Lift erreichbar sind. Keine Helis, zu Fuß und dabei die Natur in ihrer ganzen Ursprünglichkeit erleben.

Fast den ganzen Dezember ist Till in Verbier, um Schnee- und Wetterverhältnisse in den Westalpen zu beobachten. Am 23. Dezember 2023 geht er dann mit zwei guten Freunden eine Skitour auf den Rosablanche. An diesem Tag waren keine Dreharbeiten für das Projekt angesetzt. Die Tour soll lediglich als Vorbereitung dienen, um zu erkunden, was später in der Saison alles möglich sein könnte. Mit geringeren Schneemengen als im Hochwinter erkennt man nämlich besser, was sich unter der Oberfläche verbirgt. Doch die Tour endet anders als gedacht.

Normalerweise ist die Rückseite des Mont Forts vor Januar kaum fahrbar. Doch Anfang Dezember schneite es so stark, dass Verbier einen der besten Winterstarts seit langem erlebte. Eine Woche vorher ist Till bereits von der Rückseite des Mont Forts abgefahren – es lag zwar viel Schnee, doch dieser war hart und verspurt. Bis zum 23. Dezember hatte es dann auch nicht mehr wirklich geschneit, bis am Tag vor der Skitour 10-15cm Neuschnee fielen. Die Lawinenwarnstufe am Tag des Unglücks war als 3- ausgeschrieben. In Till’s Kopf rotieren nun die Rädchen, durch seine Skitour eine Woche zuvor kann er sich ein gutes Bild machen: Das Gebiet war gut verspurt, der Schnee komprimiert und er vermutet einen leichten Windeinfluss.

23. Dezember 2023: Die Gruppe steht am unteren der beiden möglichen Drop-Ins und bespricht die Route und mögliche Windprobleme. „Wir haben zu dritt entschieden, dass wir es machen“, erzählt Till. Seine Freunde, ein Geschwisterpaar, sind in Verbier aufgewachsen und haben somit reichlich Kenntnisse über das Gebiet. Dennoch sei jeder für sich selbst verantwortlich und wenn eine Person sich nicht wohl fühlt, geht die ganze Gruppe zurück.

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Als Till gerade losfahren will, bemerkt er eine Snowboarder-Gruppe am oberen Drop-In. Er signalisiert ihnen mit Stöcken und Armbewegungen, dass er gleich losfährt. Nach einem lauten „Drop-In“ fährt er in den Hang und genießt die ersten Schwünge. Diese hätten sich gut angefühlt. Was er nicht erwartet hat, dass kurz darauf der ganze Berg kollabiert.

Gegen 11 Uhr löst sich an der Rückseite des Mont Fort eine Lawine und reißt Till über 300 Meter durch ein steiles Couloir. Der Hang, in dem die Lawine abging, ist steil und teilt sich in der Mitte durch einen großen Felsblock. Nordöstliche Ausrichtung, 400 Meter lang und mit einer Neigung zwischen 45 und 50 Grad – ein Gelände, das selbst erfahrene Freerider schnell in Gefahr bringen kann. Das letzte an was sich Till erinnern kann, dass rechts und links von dem Trichter alles aufgerissen war. Er wirft die Stöcke weg, zieht seinen Airbag und schreit um sein Leben. Kurz darauf wird er bewusstlos.

Als die Geschwister sehen was passiert ist, teilen Sie sich auf. Während Sie oben stehen bleibt und einen Notruf absetzt, fährt ihr Bruder und die Snowboard-Gruppe so schnell es geht zu Till runter. Ob er verschüttet war weiß Till nicht – „Ich will nicht, dass dadurch eventuell Erinnerungen wiederkommen. Vielleicht will ich es irgendwann wissen aber nicht jetzt.“

Till‘s Erinnerungen an die Rettung sind brüchig. Er erinnert sich daran, unter dem Helikopter an einem Seil zu hängen, dann im Krankenhaus, später im CT. Im Krankenhaus in Sion wird Till von sieben Ärzten behandelt. Es wussten alle, wo es passiert ist und was eine Lawine an der Rückseite des Mont Forts bedeuten kann… Die Schulter dreimal gebrochen und ausgekugelt. Ein Sehnenabriss, eingeklemmter Nerv, Schädel-Hirn Trauma, ein Cut am Hinterkopf und Prellungen am ganzen Körper. Der Arzt sagt, es sei, wie wenn man von einem Bus überfahren wird. Und doch ist es wie ein Wunder, dass Till eine der größten Lawinen in Verbier überlebt.

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Lionel Brutsch, ein erfahrener Freerider aus Genf, kennt die Hänge von Verbier seit über 15 Jahren. Er war am 23. Dezember 2023 selbst mit seinem Bruder und zwei Freunden in Verbier unterwegs, als sie die schockierende Nachricht vom Lawinenunglück am Mont-Fort erfuhren. Die Gruppe wusste sofort, dass die Situation ernst sein musste, denn die steilen Abfahrten rund um Verbier sind bekannt für ihr anspruchsvolles Gelände.

Für Lionel macht die Kombination aus dem einfachen Zugang zu steilen Lines und der Dichte an erfahrenen Skifahrern Verbier besonders herausfordernd. Von den Liften aus erreichen Skifahrer direkt steile Hänge mit Neigungen bis zu 45 Grad, was das Lawinenrisiko vergrößert. Oft wirken die Abfahrten durch die Vielzahl an eingefahrenen Spuren weniger gefährlich, was das Risiko jedoch nur trügerisch verringert und die Entscheidungen verfälschen kann. Kenntnisse über Schnee- und Wetterbedingungen, Lawinenberichte und ein gutes Handling der eigenen Ausrüstung sind für ihn unerlässlich.

Nach seiner Verlegung von der Schweiz nach Innsbruck am 6. Januar 2024 beginnt für Till eine lange Phase der Reha und des Aufbautrainings – das Ziel ist klar: so schnell wie möglich zurück auf die Ski zu kommen. Bereits Ende Februar steht er das erste Mal wieder auf Skiern. „Im Nachhinein war das viel zu schnell und ich hätte mir mehr Zeit lassen sollen“, reflektiert er. Körperlich konnte sich Till schnell erholen, doch psychisch war das Erlebnis weitaus schwerer zu verarbeiten. In Gesprächen mit anderen Athleten und Bergführern wird ihm klar, dass es kein einfacher Weg ist. Eine Bekannte erzählte ihm, dass sie vier Jahre brauchte, um nach einem Lawinenunfall wieder Ski fahren zu können.

Nach und nach entwickelte sich die Idee, anstatt des ursprünglichen Projekts, einen Film über den Unfall in Verbier zu machen. Der Film war für Till unter anderem ein Versuch, das Positive aus der Erfahrung zu ziehen und anderen einen Mehrwert zu bieten. Durch die Arbeit daran und die ständige Konfrontation mit den Ereignissen konnte er die Dimensionen des Erlebten besser begreifen. Leicht war es definitiv nicht und die Gedanken an Sponsoren und Verpflichtungen waren oft präsent. Doch es war auch eine Form der Ablenkung, die ihm half, das Erlebte Schritt für Schritt zu verarbeiten.
Nach dem Unfall fiel es Till schwer, sich mit der Vorstellung abzufinden, dass auch er Fehler gemacht haben könnte. Lange schob er die Schuld auf den Snowboarder, der gleichzeitig mit ihm im Hang war und so die Lawine vielleicht ausgelöst hatte. Doch mit der Zeit wurde ihm klar, dass es nicht nur auf äußere Umstände ankam – auch er hätte die Situation anders einschätzen können. „Fehler sind menschlich und können jedem passieren, selbst den erfahrensten Bergführern und Alpinisten.“

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Gerade in der zunehmenden Gefahrenlage durch den Klimawandel und die veränderten Bedingungen in höheren Lagen wird deutlich, wie wichtig intensive Vorbereitung ist. Umfassendes Wissen können das Risiko nicht zu 100% ausschließen, aber Till glaubt, dass der mentale Fokus entscheidend ist. „Wer Probleme im Privatleben oder Ablenkungen im Kopf hat, hat im alpinen, ungesicherten Gelände nichts zu suchen.“ Diese Gedanken kamen ihm besonders, als er an die möglichen Folgen für Familie und Freunde dachte, hätte er es nicht überlebt. Die Erlebnisse haben ihm klar gemacht, dass es im alpinen Raum Situationen gibt, die außerhalb unserer Kontrolle liegen und auf die sich kaum jemand wirklich vorbereiten kann – ein Kontrollverlust, den nur jene wirklich nachvollziehen können, die ihn erlebt haben.

Till spricht über die notwendigen Reserven, die man bei Skitouren immer im Hinterkopf haben sollte. „Wenn ich mit einer Gruppe unterwegs bin, muss ich immer mindestens 20% übrighaben, um im Notfall jemanden retten zu können,“ erklärt er. Gerade bei langen Aufstiegen werde oft unterschätzt, wie schnell die eigene Leistungsfähigkeit abnimmt. „Wer sich komplett verausgabt, verliert nicht nur den Fokus, sondern geht auch ein großes Risiko ein und trifft eventuell falsche Entscheidungen.“ Das bedeutet, dass man im Ernstfall auf die Gruppe angewiesen ist – ob es ums Überleben oder den sicheren Abstieg geht. Daher sei es essenziell, gut abzuschätzen, wohin die Tour führen soll, ob die Strecke direkt unter dem Lift oder in einem unbekannten Gebiet liegt, und ob man den Menschen, mit denen man unterwegs ist, vertrauen kann

Um im Freeriden und bei Skitouren sicher unterwegs zu sein, ist es wichtig, kontinuierlich Informationen zu sammeln und das Wissen regelmäßig aufzufrischen. Lawinenkurse sollten so konzipiert sein, dass sie nicht nur auf das Notfallszenario vorbereiten, sondern auch auf die Vermeidung gefährlicher Situationen abzielen. Zu den grundlegenden Fähigkeiten gehören das Interpretieren von Hangneigungen, fundierte Schneedeckenanalysen und das korrekte Verstehen von Lawinenberichten. Mindestens einmal im Jahr sollte das Gelernte in der Praxis geübt werden.

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Wenn man so etwas erlebt, rät Till, sollte man unbedingt professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Er selbst ist in Therapie und spricht offen darüber, wie wertvoll es ist, seine Erfahrungen zu teilen – nicht nur für sich selbst, sondern auch, um andere zu schützen. Je mehr Menschen über die Risiken im alpinen Gelände nachdenken und sich gezielt vorbereiten, desto eher lassen sich Unfälle verhindern. Ein Gespräch, das vielleicht jemanden dazu bringt, in einen Airbag oder Lawinenkurs zu investieren, kann schon einen Unterschied machen.

Till schaut heute mit mehr Gelassenheit auf seine Freeride-Zukunft – ohne den ständigen Druck, jeden Hang sofort fahren zu müssen. Wie Jérémie Heitz einmal sagte: „Nur wenn man gesund zurückkommt, hat man die Möglichkeit, es wieder zu tun.“ Wenn ein Hang heute nicht funktioniert, dann vielleicht in zwei Wochen oder nächstes Jahr. Selbst wenn das Wochenende nach einer stressigen Arbeitswoche lockt und der Powder ruft, rät er zur Vorsicht: „Wenn es heute nicht klappt, hat man die nächsten dreißig Jahre noch Zeit.“ Die Berge laufen einem schließlich nicht davon und auch ohne einen Meter Neuschnee, kann ein Tag in den Bergen erfüllend sein.




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