Bergstolz Issue No. 89

22 ENGELBERG Bergstolz Ski & Bike Magazin • 01 | 2020 Kolumnistin in der Gruppe. Nach einem ersten Run über den Titlisgletscher, bei dem man die prüfenden Blicke des Bergführers förmlich im Nacken spüren kann, müssen wir eine erste ausgesetzte Flanke per Bootpack überwinden, bevor wir den ersten Ab- seilpunkt zum Chli Gletscher erreichen. Da für einige in der Gruppe ein Abseilen mit Ski lange her (so zum Beispiel für mich) oder völliges Neuland ist, entscheiden Matthias und Lorraine sich dazu, jeden einzeln Abzulassen. Das dauert zwar etwas, und gibt uns die Zeit, das mulmige Gefühl in der Magengegend mit dummen Sprüchen zu vertreiben. „Einfach reinsetzen und in V-Stellung abgleiten“ rät uns Matthias. „Nach ein, zwei Metern habt ihr´s raus und es macht Spaß“ – und genau so ist es: einklicken, etwas Überwindung, Position finden, Aussicht genießen. Und die ist hier auf knapp 3000 Metern Seehöhe bei blauestem Himmel wirklich grandios. Leider ist der Schnee auf der ersten Abfahrt des Tages nicht ganz so wie von uns allen erhofft: Auf ruppigem, steilem Gelände geht es zunächst an der Wand entlang, bevor sich ein toller Hang mit schöner Neigung auftut, auf dem wir es das erste Mal laufen lassen können. Der zweite Abseiler wäre vielleicht sogar fahrbar gewesen, aber Sicher- heit geht – und das gilt bei einem Schweizer Bergführer doppelt – immer vor! Als wir aus dem zweiten Couloir rausfahren, verschlägt uns die Aussicht fast die Sprache: Eiger, Mönch und Jungfrau dominieren das Bild und ziehen unsere Blicke fast magisch auf sich. Ein gewaltiges Massiv! Die Abfahrt über Schwarzer Berg zum Auffellpunkt ist leider viel zu kurz! Dafür ist der folgende Aufstieg über denWendengletscher mit seinen 300 Höhenmetern für uns auch mit den dicken Ski und den Freerideboots gut zu schaf- fen und das Biwak am Grassen schnell erreicht. Vor uns liegt eine 1500hm Abfahrt! Matthias gibt die Route vor, Lori die Line. Und dass sie einen sehr gepflegten Schwung fährt beweist sie nicht nur in den wunderbar nachdenklichen, entschleunigenden Filmen von Hanno Mackowitz, sondern auch jetzt an der Firnalpeli. Mit Zeit zum Fotos machen empfängt uns das Fürenbachtal mit frühlingshaften Temperaturen und der einen oder anderen aperen Stelle und zu guter Letzt mit einem ordentlichen Hadsch zur Bushalte- stelle am Fürenalplift. Ein Glück, dass an der Kassa auch ein kleiner Kiosk integriert ist, bei dem die Runde Bier für Schweizer Verhältnisse zudem auch noch richtig günstig ist. Auch in Engelberg und vor allem auf der Terrasse der Ski Lodge herrschen angenehme Temperaturen, sodass wir das eine oder andere Bier jetzt auch zusammen mit Chris, der etwas verspätet aus den USA eingetroffen ist, zu uns nehmen können.Wir bestellen ein paar Snacks, die Gespräche drehen sich ums Skifahren, Material, natürlich Spyder und deren Einstieg ins Freeride. Toni zeigt die ersten Bilder, Tobi schwärmt von der Perfomance seines Tesla auf Schnee, irgendwann geht die Sonne unter und wir ziehen an die Bar um und von dort direkt ins Restaurant – alles natürlich noch „with the ski- pants on“ und bei leckerem Essen geht ein großartiger Skitag zu Ende! Für den nächsten Tag stehen die Engelberg Klassiker „The Big 5“ auf dem Programm: Galtiberg, Laub, Steinberg, Steintäli und Sulz auf dem Programm. War gestern noch Lorraine der Star der Gruppe, sticht heute natürlich Chris Davenport, schon rein optisch wegen seinem Red Bull Helm, raus. Und wäre da nicht der blau-silberne Helm, würde man gar nicht merken, mit welcher Legende man im Lift sitzt. Und „Li- ving Legend“ oder Urgestein der Freerideszene trifft es bei „Dav“ schon ganz gut. Nach seiner alpi- nen Karriere wurde er 1996 World Extreme Skiing Champion, 2000 steht er auf allen Podien der Free- ride World Tour und mischt über Jahre die Freeride Wettkampfszene auf. Danach startete er auf Touren- ski durch, bestieg alle 54 Berge über 14.000 Feet in Colorado in einem Jahr und befährt als einer von ganz wenig Skifahren das Lothse Face am Mount Everest. Er ist in unzähligen Filmen von War- ren Miller und Matchstick und mo- deriert für ESPN. Aber beim Skifahren geht es ihm nur um eins: „Finding beautiful lines in incredi- ble locations“. Und mit der Einstellung ist er und wir in Engelberg genau richtig. Lei- der hat sich über Nacht das Wetter etwas eingetrübt, sodass wir erst mal die Klassiker im Skigebiet fah- ren. Steinberg zum Einfahren, dann Steintäli und Sulz. Und trotz schlechter Sicht und nur bedingt guten Freeridebedingun- gen, schafft es Bergführer Matthias immer wieder ein paar unverspurte Meter Schnee für uns rauszuzaubern. Dass die Schneebedingungen etwas „unterschiedlich“ sind, scheint aber nur die „Normalskifahrer“ in unserer Gruppe zu beschäftigen. Bei Chris und Lori sieht das alles spielerisch aus, erfahren, sicher, souverän. Aber irgendwo darf ja auch ein (graviereder) Unterschied zwischen einer „Skilegende“ und Hobby-Freeridern sein. Als sich nach dem Mittagessen die Sicht etwas bessert, fahren wir zuerst Laub. Immer wieder ein beeindruckend schöner Run auf gleichmäßigem Gefälle und vielen Mög- lichkeiten zum Spielen. Da jetzt die Zeit etwas drängt, verzichten wir auf den Kaffee- stopp im „Ritz“ und nehmen gleich das Bustaxi zurück zur Bahn. Trübsee, Stand, Klein Titlis, vorbei an den Koreanern und Fernost Touristen geht’s auf schnellstem Weg zur „Königsabfahrt“ Galtiberg. Die Abfahrt vom Titlis (3020hM) über den Galtiberggletscher nach Engelberg (1020hM) ist die längste, alpinistische und schwie- rigste Abfahrt im Gebiet Titlis und zählt zu den längsten Variantenabfahrten der Alpen. Und die ist super easy direkt aus dem Skigebiet zu erreichen. Allerdings sollte man schon wissen was man tut, beziehungsweise wo man hinfährt. Anfänglich geht es über kupiertes, stetig steiler werdendes Gelände talwärts. Die Umgebung und die weite der Hänge sind gewaltig. In der Mitte des Galtibergs kommt die Schlüsselstelle der Abfahrt. Verpasst man den "Götterquergang" landet man in einer engen, fels- durchsetzten extrem lawinösen Schlucht. Die Traverse über einen exponierten Steil- hang führt geradewegs in den unteren Teil des Galtibergs, einen Traum aus makellosen, terrassenartig abfallenden Pulverschneehängen. Darüber türmen sich ge- waltige, teilweise überhängende Felswände auf. Wieder durchfahren wir mehrere Klimazonen. Oben ewiges Eis, dazwischen Pulverschnee unten schon apere Hänge und Gänseblümchen am Golfplatz, auf dem wir dann noch die letzten Schneereste ausnutzen, um die Ski möglichst wenig tragen zu müssen. Und so endet auch der zweite Tag in Engelberg wie ein richtig fetter Freeridetag enden muss: Mit einem Bier in der Hand, der Sonne im Gesicht, und dem guten Gefühl, mit einem Skigott auf einer der besten Abfahrten der Alpen unterwegs gewesen zu sein! Aber auch Chris hat dieses fette Grinsen im Gesicht, vielleicht, weil er weiß, ob das mit dem zugeklebten Logo nur ein PR Gag ist, oder weil auch er einen sau geilen Tag gehabt hat.

RkJQdWJsaXNoZXIy Mzk0ODY=