Bergstolz Issue No. 87

26 SALZBURGER LAND Bergstolz Ski & Bike Magazin • 1 1 | 2019 Sepp Haslinger, seines Zeichens Wetter-Orakel aus Benediktbeu- ern, gibt jedes Jahr seine Prognose für den Winter ab. Er prog- nostiziert anhand der kleinblütigen Königskerze Zeitpunkt und Intensität der Schneefälle. Er unterteilt die Pflanze in fünf Teile, den Wintermonaten entsprechend. Dort wo sie mehr blüht soll es mehr schneien. Einen frühen Wintereinbruch wird es geben, ge- folgt von grünen Weihnachten und schneereichen Wochen bis Ostern. Schon Ende Dezember geht es mit den Schneemassen im ganzen Land Salzburg los. Frau Holle ist fleißig, unsere Heimat- orte Kuchl und Altenmarkt-Zauchensee versinken immer mehr im Schnee.Während Frankreich und Italien immer noch auf den heiß ersehnten Winter warten, sitzen wir mitten im Epizentrum des Schneesturms. Jeder Tag wird ausgekostet. Faceshots von früh- morgens bis spät nachmittags. Der Wetterbericht prophezeit für die nächsten Wochen keine Änderung: “Eat, Sleep, Powder, Re- peat” wird zur täglichen Routine. Für anderes bleibt keine Zeit und vor allem keine Energie mehr übrig. Einen Ruhetag legen wir trotzdem nicht ein, viel zu groß ist die Motivation und viel zu gut sind die einzigartigen Bedingungen. Normalerweise kommt es eher selten vor, dass wir von halb neun bis vier Uhr am Berg sind. Jänner 2019 ist alles anders: “First chair, last call” eine tägliche Pra- xis. Auch eine vergessene Skijacke (*hust* blond) ist nicht Grund genug, um Faceshots zu verpassen. Um die Jacke zu holen ist keine Zeit. First Tracks sind wichtiger. Selbst am späten Nachmittag finden wir unverspurte Hänge, die Spuren vom Vormittag sind schon wieder unter den neuen Schneeschichten verschwunden. Tagelang halten die Schnee- stürme an.Wir stellen uns die Frage, ob es auch zu viel des Guten sein kann. Um nicht im Schnee stecken zu bleiben, müssen wir die meisten Abfahrten Schuss fahren. Auch Cliffs, die normaler- weise einschüchternd wirken, verwandeln sich in kleine Ausbuch- tungen, die man gar nicht mehr richtig als Felsen wahrnimmt. Alles versinkt im Schnee, auch wir, sodass uns oft die Luft weg- bleibt. Jetzt wäre ein Schnorchel hilfreich. Wie kleine Kinder freuen wir uns über die Schneeflocken, die un- aufhörlich vom Himmel fallen. Selbst zum Essen nehmen wir uns keine Zeit. Ein schneller Latte Machiatto in der Hütte, um ein bisschen Energie und Koffein zu tanken, muss reichen – zu gut ist es draußen. Der Körper schreit nach Pause.Trotzdem, völlig entkräftet stehen wir jeden Tag bereit für die erste Gondel. Jeden Tag nehmen wir uns vor, am nächsten Tag eine Pause einzulegen, nie halten wir das Vorhaben ein. Der ganze Körper, vor allem die Beine, sind müde, aber die Angst, auch nur einen Tag zu versäumen ist zu groß! Also halten wir durch. Dass wir so einen Winter irgendwann wieder erleben dürfen ist unwahrscheinlich, also kosten wir ihn aus, von der ersten bis zur letzten Minute.

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