Bergstolz Issue No. 73
Seite 32 | BERGSTOLZ Ski Magazin JANUAR 2018 JULBO WHITE sehen und der Ablauf der kommenden Tage geplant wird. In regelmäßigen Ab- ständen verkrümeln Flo, Drejc und ich uns in eine Ecke, damit Klaus und Flo Al- bert ihr Kameraequipment im 'Wohnzimmer' sortieren und reinigen können. JedenAbend wird der Tisch zum Bett, und die Dusche ist ständig mit Equipment vollgestopft. Und dann ist es endlich so weit: Wir können fliegen, die Wettervorhersage stimmt! Nach einem hastigen Frühstück kauern wir im Schnee und die vom He- likopter aufgewirbelten Flocken fühlen sich wie tausende kleine Nadelstiche an. Oben, auf dem ersten Gipfel des Tages, ist eine spezielle Anspannung zu spüren. Normalerweise entwickelt man schon beim langen Aufstieg ein gutes Gefühl für den Berg. Klar, sowohl wir als auch die Guides haben Schneeprofile gegra- ben.Aber es ist doch etwas anderes, den Schnee erst dann zum ersten Mal rich- tig zu spüren, wenn man schon mitten im Hang ist. Nach einem gefühlten Wimpernschlag ist die erste Abfahrt auch schon vorbei. Es ist schwer zu sagen, wer bei all den Powderturns mit Meerblick am lautesten gejuchzt hat. Unten am Strand holt uns der Helikopter wieder ab und schon geht’s zur nächste Linie. Wir wagen uns an immer steilere Abfahrten auf den schönsten Bergen. Drejc springt über eineWechte in ein tiefeingeschnittenes Couloir und fährt mit runden Turns und viel Geschwindigkeit die ästhetischste Linie des Tages. Flo und ich haben noch etwas Größeres vor: TheWall – eine Erstbefahrung, die auf den ersten Blick fast unmöglich scheint, weil es kaum durchgängige Linien mit ge- nügend Schnee gibt. Unser Guide schluckt schwer, als wir ihm von unseremVor- haben erzählen. Schließlich bekommen wir doch die Erlaubnis, hinauf zu fliegen. Die Aussicht vom Drop In ist beängstigend, wegen der Steilheit sind nur die ers- ten Meter zu sehen. Nur, weil wir uns mit der Schneedeckenstabilität ganz sicher sind, wagen wir uns an so eine Abfahrt heran. Es ist trotzdem viel zu viel Adre- nalin. Vorab haben wir genau besprochen, wie wir die No Fall Zones mit dem geringsten Risiko durchfahren können. Jede unserer Lines hat eine Schlüssel- stelle, wo die Schneedecke etwas dünn ist. Flo startet mit großen Turns durch eine natürliche Halfpipe und bewältigt auch die ausgesetzte Schlüsselstelle und die nachfolgende Straight Line ohne Probleme.Auch bei mir läuft im oberen Teil alles glatt, bei der Schlüsselstelle liegt dann noch weniger Schnee, als erwartet. Ich entscheide mich für die direkte Linie – einfach über einen Drop dem Lock- erschnee hinterher – aber schon in der Luft sehe ich, dass in der Landung ein Stein an die Oberfläche gekommen ist. Beim Sturz passiert glücklicherweise nichts, nur der Rest der Crew ist etwas verschreckt. Auf unserer To-Do-Liste steht auch die Übernachtung unterm Sternenhimmel, um von einem höher gelegenen Startpunkt in ein paar spezielle Lines starten zu können. Wir schaufeln seit Stunden auf unserem Zeltplatz mit Meerblick, langsam nimmt dieWindmauer Gestalt an.AmAbend sind wir noch lange drau- ßen, der Sonnenuntergang ist unwirklich schön. Kalt ist es aber auch, im Zelt bereiten wir Tütennahrung zu und futtern Unmengen an Cookies. ZumWarm- werden schaufeln wir dann noch einen Kicker und beim Zähneputzen danach liegt ein seltsamer grüner Schleier auf dem Himmel. Ist das jetzt ein Nordlicht? Minuten später ist das Schauspiel in vollem Gange – grüne Flammen tanzen über den Himmel. Wie schnell dieses Licht pulsiert und immer wieder die Form ändert! In echt ist die Aurora Borealis noch viel beeindruckender, als ich mir das vorgestellt hatte. Den nächsten Tag beginnen wir mit einer kleinen Kicker-Session und ein paar Mini Lines. Wieder einmal frischt sehr plötzlich der Wind auf und wir befinden uns mitten im Schneesturm. Wir warten etwas ab, und wie so oft ändert sich das Wetter wiederum und es klart etwas auf. So können wir die langersehnte lange Abfahrt auf die andere Seite des Berges doch noch machen. Auf unserem Roadtrip hat sich das Wohnmobil als erstaunlich geländegängig erwiesen. Klar, wir sind im Schnee und auch im Schlamm stecken geblieben. Aber mit ein bisschen Muskelkraft haben wir es immer wieder weitergeschafft. Doch auf demWeg vom Norden in denWesten der Insel kommen wir tatsächlich an unsere Grenzen. Ein richtigerWintersturm mit Schneefall und extrem starkem Wind fegt über Island. Die Asphaltstraße ist spiegelglatt, und mittlerweile haben sich durch das flotte Fahren auf Schotterstraßen fast alle Spikes aus den Reifen gelöst. Die Straße führt bergauf zum Pass, und irgendwann fangen wir an, rück- wärts wieder hinunter zu rutschen. Mit etwas Mühe kehren wir um und probie- ren es über einen anderenWeg.Auf den Schotterstraßen entlang der Küste liegt mehr Schnee, aber dafür haben wir mehr Grip. Mittlerweile ist es mitten in der Nacht, und der Wind hat Orkanstärke erreicht. Als die Straße wieder einen Asphaltbelag hat, passiert es: DerWind versetzt das gesamte Fahrzeug während der langsamen Fahrt um einen halben Meter Richtung Klippen.Wir erschrecken uns ordentlich und übernachten im schwankenden Wohnmobil neben der Straße. Am nächsten Morgen ist die Welt wieder eine andere, und wir setzen unsere Fahrt Richtung Westfjorde fort. Einige Teile Islands sind nicht mit Straßen erschlossen und im Winter auch nicht über den Landweg zu erreichen – man braucht ein Boot. So auch um in die Westfjorde zu gelangen. Das Boot mit Captain wurde uns von Freunden
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy Mzk0ODY=