Bergstolz Issue No. 73

SESSION BERGSTOLZ Ski Magazin JANUAR 2018 | Seite 31 Ins Königreich des Feuers und des Eises, wo Polarwinde und raues Klima die Gesetze diktieren und die Vulkane das Gesamtbild prägen, haben Flo Orley und ich uns aufgemacht, diese fernen Gefilde zu erkunden. In dieses Land, das in früheren Zeiten als Tor zur Hölle galt. Und wir haben einen Gast mitgenommen: DarjanAndrejc, der in der Verlosung um die JulboWhite Session diesen Trip mit uns gewonnen hat. Es ist dunkel, ich liege rücklings im Schnee und langsam wird mir kalt.Trotzdem kann ich den Blick nicht von den Nordlichtern am klaren Himmel über mir lösen. Neben mir liegt der Rest der Crew, aus dem überdrehten Geplapper ist ehrfürchtiges Schweigen geworden. Hier, auf dem Bergrücken in Island mit Meerblick, wo wir diese Nacht campen werden, kann ich es spüren: Das volle Glück im Bauch. Einige Tage zuvor sind wir uns das erste Mal begegnet. Darjan, der uns zuerst mit seinem authentischen und lustigen Video überzeugt und dann beim Skype Gespräch extrem sympathisch und sehr locker war, ist der Gewinner der Julbo White Session 2017. Der gebürtige Slowene hatte auch noch einen extra Joker im Ärmel: Er ist Skifahrer, aber im Herzen immer noch Snowboarder. Kann also beides. Gut, dass die gegenseitige Sympathie auch offline und nicht nur auf Skype funktioniert. Nachdem wir in Island angekommen, das Wohnmobil übernommen und die restliche Ausrüstung ab- geholt haben, befällt Flo auch schon der Tatendrang. Wellen! Nur eine Stunde Autofahrt entfernt. Ich bin etwas überrascht von so viel Motivation, sich ins eiskalte Wasser zu werfen. Die erste Turnstunde beginnt tatsächlich sofort:Wegen zwei GradAußentemperatur wollen sich alle un- bedingt im Wohnmobil umziehen. Eine logistische Herausforderung. Flo Albert, der Filmer, und Klaus Polzer, der Fotograf stehen grinsend daneben und sind gar nicht traurig, dass sie jetzt nicht bei Wind ins sechs Grad warme Meer müssen. Für Drejc und mich ist das hier in Þorlákshöfn der erste richtige Cold Water Surf überhaupt. Über große, runde Steine, bewachsen mit allerlei glitschigem Grünzeug geht es zumWasser. Drejc ist mit seinem Schicksal versöhnt, als ein kleiner Seehund auftaucht und unsere ersten Duckdives durchs Weißwasser begleitet. DasWasser fühlt sich wärmer an, als erwartet - solange man keine größeren Fehler macht und die Neo- prenkapuze ordentlich sitzt. Wenn man doch einmal in den Strudel einer Welle kommt, explodiert vor Kälte fast der Kopf. Schon mal eine gute Einstimmung auf die unbarmherzige Natur hier in Island.Wegen der andauernden Strömung sind wir die ganze Zeit am Paddeln, zwischendurch ein paarWellen gesurft, bevor die Oberarme leer und die Füße nicht mehr zu spüren sind. Als wir uns auf zum ersten Vulkan machen, ist lange kein Schnee zu sehen. Dafür befindet sich hinter jeder Kurve ein anderer, fantastischer Ausblick. Es gibt keine Bäume, nur Gestein verschiedenster Struktur und Farbe und bodennahe Gewächse, grünes Gras duckt sich in windgeschützte Spalten im schwarzen Lavagestein, das nordische Licht lässt die Farben der Landschaft fast unwirklich leuchten. Und zwischen- durch grasen Islandponys und erfüllen auch wirklich jedes Postkartenklischee. Als Aufwärmübung wollen wir den Snæfellsjökull (1446 m) besteigen. Alpinistisch keine große Heraus- forderung, aber die Lage des Vulkans auf einer Landzunge umgeben vom Meer hat es uns angetan. Außerdem ist das jener sagenhafte Ort, an dem die Helden von Jules Verne's Buch 'Reise zum Mittel- punkt der Erde' zu ebendieser aufbrechen. Vielleicht färbt ja etwas vom Legendenstatus auf uns ab, oder wir werden zumindest am Kraterrand von der kreativen Muse geküsst… Über Nacht ist Neuschnee gefallen. Und trotz der fabelhaften Rückwärtsfahrkenntnisse von Flo, der unser Wohnmobil mit Vollgas den Berg hinauf bugsiert, kommen wir nicht weit. Dafür fahren ein paar höhergelegte Jeeps mit monströsen Reifen und voll mit japanischen Touristen vorbei. Die wollen uns und unser Touren- und Gletscherequipment leider nicht mitnehmen. Also gehen wir direkt los, zuerst die Straße entlang, bevor wir zwischen den Steinen eine Spur Richtung Kraterrand legen. Der Kraterrand hüllt sich die meiste Zeit in Nebel, außer uns ist niemand hier. Hin und wieder können wir den Berg erahnen, aber anstatt, dass der Nebel sich verzieht, werden die Wolken- bänke immer dichter. Irgendwann, es ist schon Nachmittag, fällt dann die Entscheidung: Das wird heute nichts mehr. Im Ge- genteil, leichter Schneefall, immer stärker werdender, saukalterWind und dieAussicht auf vergletschertes Gelände im vollkommenen Whiteout rauben uns langsam die Motivation. Im nächsten Sonnenfenster fahren wir ab. Unsere ersten Turns mit Meerblick. Und es ist wirklich verdammt schön. Die Frustration des Umkehrens ist sofort vergessen. Die Schneequalität variiert stark, vom lautesten Bruchharsch, den ich je erlebt habe, bis zu feinstem Powder in windgeschützten Senken. Auch am nächsten Tag hüllt sich der Snæfellsjökull in eine dichte weiße Haube. Dafür haben wir in un- seremWohnmobil direkt neben einem Naturdenkmal übernachtet, den beiden Felsnadeln von Lóndran- gar. Auf den Steilklippen hoch über dem Meer genießen wir die fabelhafte Aussicht. Weiter geht’s nach Norden. In Ólafsfjörður auf dem Troll Peninsula werden wir von Viking Heliskiing er- wartet. Zuerst freuen wir uns über den heißen Pool in der Lodge, doch das Wetter macht uns einen Strich durch die Rechnung: Kein Flugwetter in den nächsten Tagen. Also zurück auf die Straße. So weit im Norden reicht der Schnee bis ans Meer, und man kann direkt von der Straße die Couloirs er- kunden. Wie auch in den Alpen war die Wintersaison in Island eher mittelmäßig, und so richtig große Schneemengen gibt es nirgends. Glauben wir. Bei unserem ersten Versuch, eines der steilen Couloirs von unten zu durchsteigen und dann bis zum Meer abzufahren, versinken wir im letzten Drittel uner- wartet imTriebschnee und kehren um.Wieder was gelernt. Aber in den richtigen Expositionen ist dieser Teil der Insel der perfekte Spielplatz: Wir hiken zwischen Felswänden und auf ziemlich ausgesetzten Graten hinauf und schießen durch enge Couloirs wieder hinunter. Das Wohnmobil, das unten neben der Straße am Strand geparkt ist, meistens im Sichtfeld. Zwischendrin muss man aufpassen, dass einem die laut kreischenden Möwen nicht auf den Kopf kacken. Das Gelände ist ziemlich anspruchsvoll und verwinkelt - wir können nicht genug kriegen und fahren bis es um 21:00 Uhr wegen der Bewölkung dunkel wird. Zurück im Wohnmobil wird, wie jeden Abend, mit schon knurrendem Magen ordentlich aufgekocht. Das Zusammenleben von fünf Personen auf allerengstem Raum funktioniert erstaunlich reibungslos. Der Beifahrersitz ist das Sekretariat, wo am Laptop Wetter, Schnee und Straßenbedingungen nachge-

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