Seite 20 - Bergstolz Issue No. 39

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Seite 20 | BERGSTOLZ Ski Magazin Januar 2013
ALASKA
Nach Philips Rückkehr entwickelten wir in nächtelangen Brain-
stormings einen Plan für das kommende Jahr, denn den Traum von
Alaska konnte ich nach diesen Bildern nicht mehr loslassen. Schon
bald wurde uns klar, dass diese Tour alles übertreffen sollte, was
wir uns je vorgestellt hatten, wir hatten Großes für dieses Projekt
vor: Durch die „Erstbekitung“ des über 4000 Meter hohen Mt.
Marcus Baker wollten wir den Bergsport revolutionieren und zei-
gen, was mit dem Kite in einem solch extremen Gebiet wie den
Chugach Mountains in Alaska möglich ist.
Der große Durchbruch für unser Projekt gelang uns, als die
Schweizer Outdoorfirma Mammut unser Ataraxia-Projekt zu einem
der Highlight-Projekte ihres großen 150 Peaks Projekts machte. Es
hat uns begeistert zu sehen, welches Interesse uns in der Outdoor-
Branche für unseren im Vergleich kleinen und extremen Randsport
Snowkiten entgegen gebracht wurde. Beim Speed-Bergsteigen
dreht sich alles darum, in kürzester Zeit den Gipfel zu erreichen.
Das lässt sich auf zweierlei Art und Weise erreichen: Entweder man
trainiert seinen Körper, um immer schneller nach oben zu laufen,
oder man denkt über Alternativen nach, um sein Ziel zu erreichen.
Mit dem Kite hatten wir die perfekte Alternative gefunden, denn
mit keinem anderen Hilfsmittel kann man sich so flexibel in den
unendlichen Weiten der Berge Alaskas bewegen, wie mit dem
Schirm.
Wir haben von Sonne, Wind und Pulverschnee geträumt – und die
härtesten Schneestürme bekommen. Während der zweieinhalbmo-
natigen Reise zeigte sich das Wetter in Alaska von seiner unwirt-
lichsten Seite. Zelte brachen unter den enormen Massen an
Neuschnee zusammen und unser Basislager wurde innerhalb kür-
zester Zeit buchstäblich verschluckt. In den eiskalten und stürmi-
schen Nächten mussten wir in Schichten um unser Leben graben,
um nicht im Schnee zu ersticken.
Mit 4016 Metern ist der Mt. Marcus Baker der höchste Berg in den
Chugach Mountains in Alaska. Der Fuß des Berges kann nur mit
Schneeflugzeugen erreicht werden und die Gegend ist mit ihren
vielen unberechenbaren Schneestürmen eines der unwirtlichsten
Gebiete der Welt.
Wegen der schlechten Wetterbedingungen haben wir einen Zeit-
raum von mehreren Wochen eingeplant, um die Chancen für ein
längeres Wetterfenster und den richtigen Wind zu maximieren. Was
jedoch keiner von uns ahnen konnte war, dass diese Reise eher ein
Überlebenskampf als ein „normaler“ Besteigungsversuch werden
sollte! Nach dem Flug zum gigantischen Knik Gletscher dauerte es
fast einen ganzen Monat, bis uns das Wetter eine Chance auf einen
Gipfelsturm geben sollte.
Als schlussendlich das Wetter aufklarte, führte uns die erste
Erkundungstour schnell die wirklichen Dimensionen dieser Gegend
vor Augen. Zu ruhige Windbedingungen zwangen uns zuerst über
eine Distanz von fast acht Kilometern und einen Höhenunterschied
von 1000 Metern zu touren, anstatt zu kiten, bevor wir überhaupt
die erste große Bergflanke in Angriff nehmen konnten. Am näch-
sten Tag deuteten Cumulus-Wolken auf thermische Winde in der
Gipfelregion hin, weshalb wir bereits sehr früh zum ersten Versuch
aufbrachen. Nachdem fast drei Viertel des Berges bewältigt waren,
zwang uns eine extrem gefährliche Lawinensituation in exponier-
tem Gelände zur Umkehr trotz zunehmenden Windes. Gebundener
Triebschnee über einer Schicht weichen Schwimmschnees war das
Fundament auf dem wir uns fortbewegten. Direkt unter dem Grat
auf dem wir liefen, lag eine 200 Meter hohe Eiswand, die in einer
riesigen Gletscherspalte endete: Die Gefahr einer Schneebrett-
lawine war einfach zu groß und ein Absturz hätte den sicheren Tod
bedeutet.
Der nächste Versuch zwei Tage später wurde durch einen weiteren
Schneesturm verhindert, der uns auf halbem Weg mit voller Härte
traf. Mit der Zeit wurde unsere Mission mehr und mehr zu einem
Rennen gegen die Zeit.
Kurz vor den Stürmen, die uns aus meist süd-östlicher Richtung tra-
fen, hatten wir tollen Wind, nur leider aus der falschen Richtung.
Trotzdem konnten wir im flachen Bereich auf dem Gletscher die
besten Snowkite-Bedingungen der Welt genießen. 20 Knoten, kon-
stanter Wind, dazu knietiefer Pulverschnee und in jede Richtung
mindestens fünf Kilometer unberührtes Weiß! Das war eine kleine
Entschädigung für das Scheitern am Berg.
Es war paradox, obwohl die Sonne schlussendlich schien, konnten
wir keinen Schritt auf den Berg zu machen, da sich die Lawinen-
gefahr nach weiteren Neuschneemassen zusammen mit schweren
Sturmböen enorm verschärfte. Da für den deutschen Teil unserer
Gruppe nur noch zwei Tage bis zum Rückflug nach Europa blieben,
mussten wir in einem winzigen Wetterfenster zurück nach
Anchorage ausgeflogen werden.
„Durch die
„Erstbekitung“ des
über 4000 Meter
hohen Mt. Marcus
Baker wollten wir
den Bergsport
revolutionieren.“
Sebastian Bubmann (li.)
und Philip Kuchelmeister
(re.) am Ende der Eklutna
Traverse, nachdem sie
sich und ihre schweren
Schlitten vom Gletscher
abgeseilt haben.
Mitte: Während der drei Wochen am Mt. Marcus Baker war
Zelte ausgraben angesagt. Teilweise Tag und Nacht.
Unten: Philip Kuchelmeister (li.) und Sebastian Bubmann (re.)
bereiten kulinarische Köstlichkeiten vor. Pfannkuchen auf
über 2000m, wahrer Luxus eines großen Camps auf dem
Knik Gletscher.