Bergstolz Issue No. 132

40 ALBAN I EN Bergstolz Ski & Bike Magazin • 06/2025 Fliegende Skibags und fliegende Sitze Kaum wird die Steigung ernst, verabschiedet sich ein Skibag nach dem anderen vom Dach der Kabine. Wir brüllen, winken, klopfen, doch der Fahrer hört nichts. Schließlich stoppt er, wir sammeln alles ein - Glück gehabt, nichts kaputt. Doch das Chaos geht weiter: Bei der nächsten Steigung bricht eine Sitzreihe aus der Verankerung. Die Guides reagieren pragmatisch: „Werfen wir raus, holen wir später.“ Statt zwölf Sitze hat unsere Kabine nun zehn. Willkommen im Balkan. Am Nachmittag erreichen wir die Lodge – fast komplett. Ein Skibag fehlt, das auf dem Weg vergessen wurde. Ein Skidoo macht sich auf die Rückreise und liefert es um zwei Uhr früh nach. Abenteuerlicher kann ein erster Reisetag kaum sein. Lodgeleben: Gutes Essen, Jenga und Schuh-Desaster Die Lodge, eine rustikale Holzhütte mit Kamin, Gemeinschaftsraum und viel Charme, wird für die nächsten Tage unser Zuhause. Morgens Frühstücksbuffet, mittags und abends albanische Küche: Eintöpfe, frisches Gemüse, viel Fleisch, noch mehr Gastfreundschaft. Abends wird gespielt. Jenga entwickelt sich zum Mannschaftssport und LK zum unbesiegbaren Champion. Die Spannung der Jenga Spiele ist kaum zu übertreffen. Tammy sorgt als DJ mit Musikbox und Handy für Stimmung in der Lodge und auch im Pistengerät. Und auch Tammy’s Snowboard Schuhe erleben einiges in der Lodge. Merke: Innenschuhe von Snowboardboots trocknet man nicht direkt auf dem Holzofen. Teile davon verschmolzen mit dem Metall. Powder-Playground im Niemandsland Fünf Tage lang ist ein ganzer Bergkessel unser Spielplatz. Keine Lifte, keine anderen Skigruppen – nur wir, unsere Guides Dani und Yuri und der Snowcat. Obwohl es während unseres Aufenthalts nicht schneit, finden die Guides jeden Tag unverspurte Abfahrten. 10 bis 15 Zentimeter Pulver der Vorwoche reichen, um breite Grinsen in unsere Gesichter zu zaubern. Lina, die lange für den DSV als Skirennläuferin an den Start ging, ist die klare Queen of Beauty Turns. Mit ihr gelingen uns super Bilder die zeigen, wie wir immer wieder aufs neue Schwünge in die unverspurten Hänge ziehen. An einem Tag steigen wir vom Drop-Off noch weiter auf und erklimmen den Maja e Bardh. Belohnt werden wir mit einer Abfahrt, die lange im Gedächtnis bleibt. Die restlichen Tage lassen wir uns von unserem „Taxi“ – dem Snowcat – gemütlich den Berg hochshutteln. Drop-Offs mit weiblichen Pronomen Die Cat Driver, einer davon Sokol, ebenfalls ein begnadeter Skifahrer, hat das harte Los diese Woche gezogen und fährt unseren Cat an sämtliche Drop-off Points. Teilweise auch an welche, die er noch nie angefahren ist - allerdings mit der albanischen Wildcat ist so einiges möglich. Während er unsere Powdercrew jedes Mal an die unverspurten Hänge führt, merkt man ihm deutlich an, wie gerne er selber mal mit den Skiern mitfahren würde. Wahrscheinlich war es die Einsamkeit im Cat, oder doch die testosterongeladene Führerkabine die dazu führte, dass gewisse Drop-off Points von den Jungs nach weiblichen Körperteilen benannt wurden. Als wir Frauen davon erfahren, ist es ihnen sichtlich ein wenig peinlich. Aber noch mehr irritiert sie die Nachfrage, wo denn die Drop-offs seien die nach männlichen Körperteilen benannt wurden. Da herrschte plötzliches Schweigen. Wir helfen gerne und stehen unseren neu gewonnen Freunden zur Seite. So übernehmen wir kurzerhand die ehrenwerte Aufgabe und werden kreativ in der Namensgebung der Runs. Google Maps wird als Komplize engagiert und wenn ihr wissen wollt, welche Sehenswürdigkeit man in den Accursed Mountains unter "ara me kryp" findet, müsst ihr einfach googeln. (Wer es auf Google Maps finden will “arra” mit doppel r schreiben. Wir mussten ein wenig improvisieren, damit unsere Einträge akzeptiert wurden.) Weitere Namensvorschläge wurden leider abgelehnt (das war dann unserem Komplizen Google wohl doch ein wenig zu viel). Schade, dieses Powder Universum hätte noch ein paar weitere kreative Namen verdient. Aber auf so einer Reise kann man nicht alle Missionen sofort erfüllen, wir brauchen sowieso einen Grund um wiederzukommen. Wir hätten noch einige Ideen für schöne Cliffs und Lines. Abreise von Albanien zurück in den Kosovo Nach fünf intensiven Tagen heißt es Abschied nehmen. Statt zurück über die Pferderoute, bringt uns unser Cat zu einem anderen Drop off. Wir schultern die Ski, stapfen noch ein Stück bergauf und queren einen Kamm. Auf der anderen Seite wartet der Kosovo und eine letzte lange Abfahrt ins Tal. Unsere letzte Nacht verbringen wir wieder im Guesthouse Bora1. Vorher gibt’s albanische Küche in einem Restaurant in Peja, dann einen Gin Tonic in einer Bar. Doch dort erleben wir einen kleinen Kulturschock: Um 22 Uhr sind wir die einzigen Frauen im Lokal. „Im Kosovo gehen Frauen nach zehn nicht mehr in Bars“, erklärt man uns. Wir lächeln, nicken, bleiben sitzen und stoßen auf eine unvergessliche Reise an. Fazit: Balkan und Pistengeräte War es wenig chaotisch? Für Mitteleuropäer ja. Gab es immer eine passende Lösung für alle Probleme? Auch ja! (Zitat der Jungs vor Ort: There is a Balkan solution for everything!) War es abenteuerlich? Absolut. Würden wir es wieder machen? Sofort. Catskiing in Albanien ist nichts für Komfortreisende, aber für alle, die Powder, Abenteuer und Geschichten fürs Leben suchen. Die Mischung aus Gastfreundschaft, Wildnis und Skispaß macht die „verfluchten Berge“ zu einem Ort, den man so schnell nicht vergisst. Foto: Birgit Ertl

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