Bergstolz Issue No. 110

36 Mazedonien Bergstolz Ski & Bike Magazin • 08 | 2022 Nordmazedonien ist ein kleines Land im Süden Europas. Eine der ehemaligen jugoslawischen Republiken, mit denen man heutzutage nichts Spektakuläres verbindet. Eventuell erinnert man sich noch an den Geschichtsunterricht über Alexander den Großen (König von Makedonien) und seine Eroberungen. Das war es dann aber auch schon zu (Nord)Mazedonien. Das wird diesem Land jedoch nicht gerecht. Es ist wild, hat eine sehr vielfältige Natur, eine großartige Küche, freundliche Menschen und ist reich an vielen Denkmälern. Nur 1.200 Kilometer entfernt von Polen, mit einer über weite Strecken sehr gut ausgebauten Autobahn. Noch besser ist es allerdings mit dem Flugzeug zu erreichen. Die Hauptstadt Skopje erreicht man von allen größeren Städten in Polen in nur wenigen Stunden. Von dort aus sind es nur anderthalb Stunden mit dem Auto zu den verschneiten Šar Mountains (Šar Planina). Die Šar Mountains haben wir zufällig entdeckt. Wir hatten ein kurzes Zeitfenster von fünf Tagen mit An- und Abreise. Unser Wunsch war es, durch frischen Tiefschnee zu gleiten, ohne zuvor aufzufellen, d.h. kein Skitourengehen, sondern „einfach“ nur Freeriden - was in Pandemiezeiten gar nicht so einfach war. Wir suchten im Internet die beste Lösung für uns. Die Wetterprognosen für die Alpen sahen nicht vielversprechend aus, so dass wir unsere Aufmerksamkeit auf einen "exotischen" Ort richteten. Es waren mehrere Ziele im Gespräch, jedoch überzeugten uns die Schneeverhältnisse in Mazedonien. Dazu kam noch die Neuschneeprognose und dass es „Heliskiing für Arme“ gibt, das sogenannte „Catskiing“. Einige Stunden später überquerten wir die EUGrenze und waren auf demWeg nach Süden auf demWeg in ein neues Abenteuer. EU-Staatsbürgern reicht zur Durchquerung von Serbien und Nordmazedonien ein gültiger Personalausweis. Wir erreichen die Stadt Tetovo am Fuße der Šar Mountains. Die Stadt ist mit ihren über 50.000 Einwohnern ein wichtiges Industrie-, Handels- und Universitätszentrum. Hier erledigen wir alle notwendigen Einkäufe und setzen unseren Weg fort. Das GPS zeigt weniger als 20 km bis zum Standort. Es liegt kein Schnee, sondern es regnet und überdies noch diese kleinstädtische Tristesse... Wir werden unruhig und fürchten, dass unsere Wünsche nicht in Erfüllung gehen. Glücklicherweise wird die Straße am Stadtrand winterlich, und wir legen die letzten Kilometer in dichtem Schneetreiben zurück. Auf demWeg nach Popova Šapka kreuzen wir immer wieder die Ruinen der alten Seilbahn von Tetovo nach Popova Šapka. Die Seilbahn wurde zu Zeiten von Josip Broz Tito Anfang der 1960er Jahre gebaut. Ihre Blütezeit endete mit dem langsamen Zerfall Jugoslawiens. Damals war sie das einzige Transportmittel nach Popova Šapka, was dem Ort zu seiner Blüte verhalf und ihn in der Rangliste der jugoslawischen Skigebiete nach ganz oben katapultierte. Die Seilbahn selbst war die modernste in der Region und wurde als die längste auf dem gesamten Balkan bezeichnet (mehr als 6 Kilometer lang). Heute führt statt einer Seilbahn eine gut ausgebaute Landstraße auf den Berg. Diese Straße „teleportiert“ uns in weniger als 40 Minuten über 1.200 Höhenmeter aus dem herbstlichen Tetovo in die winterliche Zauberwelt der Šar Mountains nach Popova Šapka. Dieses Gebirge ist doppelt so groß wie die gesamte Tatra in Polen und verteilt sich auf die drei Länder Nordmazedonien (mehr als 50 %), Kosovo und Albanien. Es umfasst mehr als 30 Gipfel mit über 2.500 m, von denen der Titov Vrv (2748 m) der höchste ist. Die Schneedecke hält sich hier an mehr als 130 Tagen im Jahr. Des Weiteren sorgt die Niederschlagsmenge von 1200 mm für sehr gute Bedingungen während des größten Teils der Saison. Die Infrastruktur des Skigebiets ist nicht besonders gut. Es gibt zwar neun Lifte mit mehr als 20 Pistenkilometern, das Ganze funktioniert aber eher schleppend. Eventuell liegt dies an der zentralen Verwaltung. Zum Glück sind wir nicht hier, um auf der Piste zu fahren. Das schwach ausgebaute Skigebiet in Verbindung mit dem großen Potenzial dieses wunderschönen Gebirgszugs wird von zwei privaten Unternehmen genutzt, die Freeriden mit Pistenraupen anbieten (Catskiing). Die Pistenraupen bringen abenteuerlustige Skifahrer und Snowboarder problemlos in die entlegensten Winkel dieser Berge. Das ist die perfekte Lösung für uns: keine Skitouren, sondern viel Freeriden. Endlich sind wir an unserem Ziel angekommen. Es sieht nicht allzu spektakulär aus: ein paar Hotels, Restaurants und ein Geschäft, aber hier und da kann man die Spuren des früheren Glanzes sehen, gemischt mit dem modernen Einfallsreichtum privater Unternehmer, alles natürlich im „Balkan-Flair“. Etwas unsicher schauen wir uns nach unserem Hotel um. Die Unsicherheit bestätigt sich zum Glück nicht. Dank des örtlichen Reiseveranstalters Shar Outdoors übernachten wir in einem luxuriösen Hotel mit Sauna, Swimmingpool und einer sehr gut ausgestatteten Bar (vier „Balkan-Sterne“). Am Abend erwartet uns ein mazedonisches Festmahl, über das man ein eigenes Kapitel in einem Reiseführer verfassen könnte. Dies ist jedoch kein kulinarischer Reisebericht, es geht uns ja um das Freeriden. Am Morgen werden wir von starkem Wind geweckt und ein weiteres Mal macht sich diese Unsicherheit breit, ob wir den richtigen Ort gewählt haben. Beim Packen des Rucksacks freuen wir uns darüber, dass Felle, Steigeisen und Pickel nicht mitgeschleppt werden müssen. Die Rucksäcke scheinen irgendwie

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