Bergstolz Issue No. 110

20 ICELAND Bergstolz Ski & Bike Magazin • 08 | 2022 Island-Trip Nr. 9, Frühjahr 2020. Nichts geht mehr.Alle vier Räder drehen durch.Was anderes bleibt ihnen auch nicht übrig, denn der Unterboden unseres Allradlers liegt komplett im Tiefschnee auf. Es ist ein Uhr nachts und der Wind bläst mit acht Windstärken. Wir haben 400 der geplanten 430 Kilometer hinter uns. Unser Ziel, das Örtchen Olafsfjördur, liegt keine zehn Kilometer Luftlinie entfernt. Bis vorhin konnten wir noch Sterne, Vollmond und Polarlichter bestaunen, die Straße war problemlos zu befahren. Doch binnen weniger Kilometer hat sich das Wetter komplett gedreht und jetzt stecken wir mitten in einem Blizzard fest. Normalerweise sind die Isländer wahre Meister im Freihalten winterlicher Straßen, doch seit Mitternacht hat der Räumdienst wohl Feierabend. Längst ist die Straße nur noch einspurig frei gehalten, links und rechts türmen sich mannshoch die ausgefrästen Schneewände. Eben noch haben wir eine kleine Ansiedlung passiert, als unsere wage Fahrspur abrupt endet. Hier hat wohl der Schneepflug final den Rückwärtsgang eingelegt. Das würden wir ebenfalls gern, doch leider sehen wir weder Schnee noch Straße im Display der Rückfahrkamera, sondern gelb. An unserer Anhängerkupplung hängt ein Miniwohnwagen des isländischen Herstellers Mink Camper, der uns in der nächstenWoche das Hotelzimmer ersetzen soll. Die Versuche, rückwärts zu fahren, scheitern an mangelnder Sicht und mangelndem Fahrkönnen im Hängerbetrieb. Theoretisch könnten wir einfach an Ort und Stelle in den Wohnwagen krabbeln, die Standheizung anwerfen und auf bessere Zeiten hoffen, doch praktisch trauen wir uns das nicht, da uns Schneefall und Wind in kürzester Zeit »unsichtbar« für den nächsten Schneepflug machen würden. Also kramen wir unsere Lawinenschaufeln aus dem Gepäck, setzen die Skibrillen auf und stellen uns den Elementen. Erstmal Platz schaffen für den abgekoppelten Hänger und dann rund ums Auto den Schnee soweit abtragen, dass wir wenden können. Nach einer Stunde Handarbeit imWhiteout steht das Gefährt schließlich um 180 Grad gedreht auf der immer weiter zuschneienden Straße. Bei der neuerlichen Eingabe unseres Ziels ins Navi wählen wir nun die »sichere« Route im Inland. Macht 180 Kilometer extra bitteschön. Island imWinter fordert seinen Tribut. Dass es eine Homepage namens www.road.is gibt, die nahezu in Echtzeit über alle offenen und gesperrten Straßen informiert, war uns in der Hektik der Anreise entfallen. In den Folgetagen setzen wir uns nicht mehr ans Steuer, bevor wir nicht diese unverzichtbare Quelle konsultiert haben. Camping imWinter? Als wir in einem wieder mal recht dürftigen Alpenwinter unsere Pläne für eine Islandreise im März schmiedeten, konnten wir noch nicht ahnen, dass der Winter im Norden derart die Spendierhosen an hat. Der Grund dafür ist der enorm starke Polarwirbel über dem Nordpol, welcher die Tiefdruckgebiete über Grönland bündelt und sie wie an einer Perlenschnur gen Island schickt. In der Folge schneite es von Dezember bis Februar gefühlt durch und der Schnee reicht auch jetzt noch direkt runter bis ans Meer, wo die Wellen an einer stellenweise fünf Meter dicken Schneedecke nagen. Die Nacht im Mink Camper ist kurz und stürmisch – aber gemütlich. Im Grunde ist der Mink ein Bett auf Rädern mit Außenküche. Bei der Buchung des Mink hatten wir ungefähr folgendes Bild vor Augen: Geparkt nahe einer der vielen heißen Quellen Islands, bollert innen die Standheizung,

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