ARIZONA SEDONA BY CHANCE
Roter Staub wirbelt durch die Luft und verschleiert mir für einen kurzen Augenblick die Sicht. Immer wieder fahren Tobi und Joe in einer atemberaubenden Geschwindigkeit steile Stufen hinunter, springen über kleine Felsvorsprünge und biegen im nächsten Moment um enge Kurven in ein Labyrinth aus Trails, das sich durch die großen roten Steinmonumente.
Nach über 12 Stunden Autofahrt konnten Tobias Woggon und ich es kaum erwarten, die berühmt berüchtigten Trails von Sedona mit unseren Mountainbikes zu erkunden. Nur an wenigen Orten in den USA kann man schon im Februar so gut Mountainbiken wie hier im Verde Valley im Norden Arizonas. Die kleine Stadt Sedona liegt knapp 50 Kilometer südlich von Flagstaff, am Ausgang des Oak Creek Canyon, nicht weit vom Grand Canyon entfernt. Schon als wir das Ortsschild passieren ist die indianische Vorgeschichte dieses Fleckchens Erde zu spüren. Die malerische Kulisse und das einmalig schöne Licht von Sedona ziehen eine künstlerische Gemeinschaft an, die stark von individuellen Ausdrucksformen geprägt ist. Man findet alles. Mit Gegenwartskunst gestaltete Nobel-Restaurants, aus surrealen Werken gebaute Cafés, bis hin zu aus indianischer Kunst gestalteten kleinen Läden. Nach unserer Ankunft in Kalifornien, ereignen sich mehrere Zufälle nacheinander.
RÜCKBLENDE:
Die Phil-Wood-Naben surren laut in den schnellrotierenden Laufrädern, die breiten Ketten scheppern gegen die hartgelöteten Stahlrahmen, der Geruch von heißen Bremsen steht in der Luft. Eine Horde von Mountainbikern jagt in einer unglaublichen Geschwindigkeit den Berg hinab und die Fahrer versuchen sich gegenseitig auf den schmalen Trails zu überholen. Eindeutig: Ein Rennen!
Handgeschriebene Startnummern sind an breiten, geschwungenen Lenkern befestigt. Die Fahrer beugen sich tief über die langen Vorbauten und versuchen die Stöße des ruppigen Untergrunds mit Armen und Beinen abzufedern. Weder mit Federgabeln oder Dämpfern, noch mit Helm oder jeglicher Art von Protektoren fahren die Jungs, während sie in Angriffsposition die Abfahrten am Mount Tamailpas herunter preschen. Ich wäre vor Angst schon längst abgesprungen, doch sie haben vollstes Vertrauen in ihre MAFAC Bremsen, die sich mit voller Kraft in die Seitenwände der Araya-Felgen beißen.
Genau so habe ich es mir vorgestellt, damals, als alles anfing.
Nun stehen wir hier im neu eröffneten Mountainbike Museum in Fairfax, dem kleinen Ort in Marin County, nicht weit von San Francisco entfernt und lauschen den Geschichten der Entstehung des Mountainbikes.
Mit unglaublicher Leidenschaft erzählt Joe Breeze von der Entstehung der Repack Rennen, die vor mehr als 30 Jahren hier am Mount Tamailpas veranstaltet wurden und der Grundstein zur Entwicklung der Mountainbikes von heute waren.
Dieser erste Tag, mit all den Geschichten die Scot und Joe uns erzählten, war die perfekte Einstimmung auf einen fantastischen Roadtrip durch die USA von Kalifornien, über den Hoover Damm, zum Grand Canyon bis hin zu den besten Trails in Sedona.
Unser erster Stop ist die kleine Hippiestadt Fairfax, die der zentrale Punkt für alle Mountainbike- und Rennradtouren in Marin County ist. Dort treffen wir Scot Nicol, den Gründer der Mountainbike Firma Ibis. Er wohnt nicht weit von hier entfernt und ist gekommen, um mit uns die Trails am Mount Tam zu erkunden. Durch Zufall treffen wir seinen langjährigen Freund und kommen so an eine private Führung von Mountainbike-Legende Joe Breeze durch sein neu gegründetes Museum. Sie erzählen uns von der Entstehungsgeschichte des Mountainbikes, vom Museum und von den besten Trails in der USA, so auch über die Trails in Sedona und der Reise dorthin.
Also beschließen wir - nach einer ausgiebigen Bike Tour und einem Besuch des legendären GESTALTHAUSES, einer kleinen urigen Kneipe inmitten von Fairfax - uns auf den Weg zu den Traumtrails in Sedona zu machen. So landen wir letztendlich für eine Nacht in Las Vegas und geben unser nichtvorhandenes Kleingeld aus, machen einen Spaziergang über den Hoover Damm und einen Abstecher zum Grand Canyon, bevor wir in unserem überdimensionalen Wohnmobil sitzen und auf Sedona zusteuern.
Eine Woche hatten wir für unseren Roadtrip eingeplant; ginge es nach der Anzahl der Trails, dann könnten wir Monate in dieser Gegend verbringen und würden nicht einen Tag den selben Trail fahren. Alleine rund um Sedona gibt es 37 unterschiedliche Wege, insgesamt über 300 Meilen mit jedem Schwierigkeitsgrad, die das Mountainbikerherz höherschlagen lassen.
Der Hangover Trail hat es mir besonders angetan. Noch zwei Tage nach unserem Ausflug musste ich noch immer an diesen Weg denken. Er schlängelt sich durch die wohl bekanntesten Filmkulisse Amerikas. Jeden Moment wartet man nur darauf, dass Indianer hinter einem der Red Rocks auftauchen und im Hintergrund die Filmmusik anfängt.
Wir starten früh am Morgen, als die Sonne noch nicht aufgegangen ist. Joe Murrey, ein langjähriger Freund von Scot und erster Athlet von Marin Bikes, erwartet uns am Traileinstieg. Wir fahren an malerischen Canyons vorbei, kreuzen enge Nadelwälder und fahren durch stachelige Kaktus-Passagen. Als die Sonne aufgeht, kommen wir auf ein Plateau, das uns ein Panorama über das komplette Gebiet fast bis Flagstaff eröffnet. Bis in den Abend hinein fahren wir auf den flowigen, sandigen Trails, ohne ein einziges Mal auf einen befestigten Weg zu kommen. Immer wieder kommen kleine Anstiege und anspruchsvolle Abfahrten, die ziehen mir die letzte Energie aus den Beinen. Zufrieden sitzen wir in der ChocolaTree Organic Eatery, einem veganen Restaurant, und verspeisen Unmengen an Ökofutter. Ich musste hart mit Tobi diskutieren, dass man nicht an jedem Tag in Amerika eine halbe Kuh verspeisen muss. Ein ziemlich skurriler Typ setzt sich zu uns an den Tisch und erzählt über das Leben in Arizona. Seit 20 Jahren lebt er hier in Sedona, baut Schmuck aus Knochen, wohnt im Camper und hat das Gebiet seit jeher nie verlassen, nur morgen, da muss er weg, hat einen Zahnarzt Termin in Mexico, da ist es günstiger. Nach unzähligen spannenden Geschichten schlendern wir müde zu unserem Wohnmobil auf dem Campingplatz mitten in Sedona und freuen uns schon auf den Trail, den wir morgen fahren werden.