bergstolz

Cima Tosa - Canalone Neri


Cima Tosa Bergstolz Nr. 73

Text: Roman Rohrmoser

Es war der 29. März 2017 im Winterraum des Rifugio Ai Brentei, als um 6:00 Uhr der Wecker klingelte und eigentlich niemand wirklich Bock hatte, aus dem warmen Schlafsack raus zu kommen und Frühstück zu machen. Das einzige Geräusch das man hörte war die Hüttenmaus, die sich freute, endlich wieder mal a „gscheide Jausn“ zu kriegen… Wir waren noch alle drei etwas müde vom Zustieg des Vortages, der doch um einiges länger gedauert hatte als gedacht: schließlich galt es zusätzlich zu der ganzen Ski Ausrüstung auch noch das ziemlich schwere Kamera Equipment zu schleppen. Von den restlichen Utensilien wie Schlafsäcken, Schuhen, Gaskocher, Eisausrüstung oder Zillertaler Weissbier gar nicht zu sprechen. Was genau uns erwartete, wussten wir eigentlich nicht, da es keine aktuellen Bilder und Infos gab. Unsere einzige Informationsquelle war ein Instagram-Video aus dem wir schlussfolgerten, dass in der Brenta-Gruppe ganz gute Bedingungen herrschen könnten.

Die Jahre vorher hatte ich mit Claus Eberharter, einem Zillertaler Kollegen von mir, einige klassische Steilwände erzwungen bzw. befahren und das auch nur, weil der Schnee erst so spät in der Saison gekommen ist, dass wir eben andere Sachen ausprobierten: eben Wildspitz Nordwand, Brochkogel und im Frühjahr bzw. im Frühsommer am 15. Juni die Hochfeiler Nordwand. Dadurch kamen wir auf die Idee, auch andere Steilwände und Rinnen zu befahren und schließlich stießen wir so auf Bilder vom Canalone Neri in Madonna di Campiglio.

Cima Tosa Bergstolz Nr. 73

Da ich allerdings mit Filmprojekten ziemlich eingedeckt war und für eine solche Unternehmung auch die Bedingungen passen müssen, wussten wir nicht wirklich, wie wir das angehen sollten. So verschoben wir das Projekt ein ums andere Mal. Bis mich Claus im vergangenen Frühjahr dann angerufen und mir mitgeteilt hat, dass er genau diese Abfahrt in zwei Tagen machen würde, da er das besagte Instagram-Video eines Locals gesehen hätte. Der war offensichtlich in der Nähe und die Bedingungen richtig super. Allerdings – und das war der Haken an der Sache - meinte er auch, dass er zwar mit mir raufgehen, aber bergab lieber den Luftweg nehmen werde: Mit dem Paragleiter. Das traf nicht unbedingt meine Vorstellungen der Canalone Neri-Befahrung: einerseits kann ich nicht paragleiten und andererseits wollte ich diese Rinne auch nicht unbedingt ganz alleine runter fahren…

Etwas Bedenkzeit und ein Telefonat später konnte ich zusagen: Max Kroneck, der die Rinne ebenfalls schon immer mal fahren wollte, war mit an Bord. Nach einem weiteren Telefonat hatten wir auch unseren Filmer Michael Bernshausen von Midiafilm davon überzeugen können, dass es schon ziemlich coole Aufnahmen werden könnten und er deshalb ebenfalls mit nach Madonna di Campiglio fahren würde. Wir haben ihm vorsichtshalber natürlich nicht genau gesagt, wie weit es bis zum Canalone Neri ist – wir befürchteten, er würde es sich dann nochmal anders überlegen. Diese Annahme war im Nachhinein betrachtet übrigens vollkommen richtig: Er hat irgendwann gemeint, dass das wohl seine anspruchsvollste Tour jemals gewesen war und er die Strapazen sicher nicht auf sich genommen hätte, wenn er das im Vorhinein gewusst hätte. Das ganze Kamera Equipment da hochkriegen, ist natürlich nicht so ohne - wobei das hauptsächlich Max und ich getragen haben (sorry Michi, das musste hier einfach verraten werden!)

Cima Tosa Bergstolz Nr. 73

6:00 Uhr morgens also. Als wir uns widerwillig aus unseren Schlafsäcken schälen, ist vom Canalone Neri schon einiges zu sehen: Sie erhebt sich direkt gegenüber von uns. Am Vorabend war es schon zu dunkel gewesen, um Genaueres zu erkennen. Wie vermutet war die Eisnase fast zur Gänze verschwunden und zum Teil auch mit Schnee bedeckt. Wir schienen Glück zu haben: in der Rinne hatte es anscheinend recht guten Schnee. Beim Zustieg waren wir noch nicht richtig überzeugt gewesen, bis knapp 200 Höhenmeter unter dem Einstieg lag kein Schnee. Zusätzlich hatte es in den Tagen zuvor ziemlich weit hinauf geregnet. Das Couloir aber lag hoch genug, und so hatte es während der vergangenen Tage glücklicherweise doch richtigen Schnee abbekommen.

Aufbruch. Mit den Skiern steigen wir soweit es nur irgendwie geht in Spitzkehren auf. Schon dort werden uns die Ausmaße dieser Rinne bewusst und mit jedem weiteren Schritt, den wir mit den mittlerweile angezogenen Steigeisen machen, noch viel mehr.

Ich bin noch nie zuvor 900 Höhenmeter am Stück senkrecht nach oben gestapft. Dementsprechend groß war mein Respekt. Das Gute war, dass es wirklich recht gut zum Stapfen ging und die Eisgeräte Foto: Midiafilm Seite 48 | BERGSTOLZ Ski Magazin JANUAR 2018 CIMA eigentlich mehr als Kopfsache dienen mussten. Ich weiß wirklich nicht mehr wie viele Schritte es waren, aber im letzten Drittel des Aufstiegs haben mir dann schon ganz gut die Oberschenkel gebrannt. Selbstverständlich habe ich mir davon aber nichts anmerken lassen! Ich glaube aber, dass es den anderen ziemlich ähnlich ging. Die letzten 100 Höhenmeter haben sich dann richtig gezogen, die Rinne schien kein Ende nehmen zu wollen. Noch dazu waren hier dann die Verhältnisse ein Bisschen schwieriger: zuerst eingeblasen, danach eisig.

Cima Tosa Bergstolz Nr. 73

Ungefähr drei Stunden später sind wir dann endlich oben angekommen. Auf dem Plateau hatte es gefühlt 15 Grad Plus, deswegen gönnten wir uns zuerst einmal ein kleines Gipfelschnapserl – schließlich sollte sich ja niemand verkühlen! Im Übrigen stellte sich unsere Temperaturschätzung als absolut realistisch heraus. Und da der Wind ordentlich über die Rinne hochgeblasen hat, zögerten Claus und unser zweiter Paragleiter im Bund nicht lange, zogen ihre Schirme in die Luft und starteten in die Rinne rein. Weg waren sie! In diesem Moment wusste ich gerade wirklich nicht was mir mehr Angst machte: in die Rinne mit dem Schirm rein zu starten oder dann mit den Skiern abzufahren...

Wir wären dann bereit gewesen, allerdings hatten Max und ich die Anweisung bekommen, noch weitere drei Stunden Zeit am Gipfel tot zu schlagen. Wir mussten auf das beste Licht warten (das angeblich um 13:15 Uhr herrschen sollte) und waren demnach natürlich viel zu früh oben gewesen. Na gut, schließlich hatten wir Michi ja auch nicht vorgewarnt, was ihn erwarten würde… Also saßen wir beide herum, haben einen Haufen Blödsinn geredet und sind immer müder geworden. Die warmen Temperaturen haben ihr Übriges dazu beigetragen, dass sich unsere Motivation nicht unbedingt steigerte.

Cima Tosa Bergstolz Nr. 73

Aber schließlich kam dann – beinahe schon überraschend – der Funkspruch, dass wir uns fertigmachen sollten. In Kürze sollte es losgehen. Ich war gerade eingeschlafen und ziemlich am Sand. „Was solls“, dachte ich mir, „schnell runter und dann haben wir es hinter uns.“ Gaaanz so schnell ging es dann allerdings doch nicht: Wir warteten nochmal über eine halbe Stunde bevor wir dann endlich das Go! bekamen.
Meine ersten Schwünge fühlten sich an, als hätte ich die Felle noch am Ski, inklusive Harscheisen und den Skischuh schon im im Après-Ski-Modus. Puuuhh… Noch dazu war es an der Einfahrt ziemlich sketchy mit dem von Steinen durchsetzten Bruchharsch. Stürzen als Option schied ja generell schon von Vornherein aus. Trotzdem gehen einem schon die einen oder anderen Gedanken durch den Kopf, wie das denn jetzt wohl so wäre, würde man bei den ersten Schwüngen den Ski verlieren oder stürzen…

Mir persönlich genügt ja mein Absturz vor acht Jahren vollkommen, ich hab keinerlei Bedürfnis, das zu wiederholen. Ich stürzte die Pallavicini-Rinne am Großglockner 400 Meter ab und legte am Ende noch 50 Meter freien Fall oben drauf. Ein zweites Mal überlebt man so etwas wohl eher nicht, von dem her also kein Wiederholungsbedarf von meiner Seite aus…

Cima Tosa Bergstolz Nr. 73

Ich fahre also die ersten 30 Meter in die Rinne ein, bevor sie steil reinrollt und sich vor mir ausbreitet: Mehr als 1.000 Meter liegen vor mir. Wieder wird mir bewusst, was das Besondere und Extreme am Canalone Neri ist: Nicht unbedingt die Steilheit von 50°, sondern die Felswände, die sich mehrere hundert Meter hoch erheben und wegen des unglaublichen Tiefblicks. Hier rutscht dir das Herz in die Hose!

Nach circa 80 Metern bleibe ich unter einem Felsen stehen und erzähle Max über Funk, dass es in unseren drei Stunden Wartezeit 25 Zentimeter Powder reingeweht hat und er richtig Gas geben kann. Not. Natürlich hat er gewusst was ihn erwartet und sein Reisetempo entsprechend gewählt. So solide wie er auf dem Ski steht sah man ihm überhaupt nicht an, dass auch er ein bisschen die Hosen voll hatte – das hat er erst nachher zugeben müssen. Ohne einen gewissen Respekt hätte man aber auf solchen Unternehmungen nichts verloren. Knapp über der Hälfte haben Max und ich uns dann dazu entschieden, zusammen zu fahren. Einerseits erlaubt es die Breite der Rinne dort und andererseits waren wir uns bezüglich Lawinenrisiko einig, dass die Gefahr gering sein würde. Dennoch ist das auf keinen Fall ohne, denn der Sluff vom Hintermann kann einem schon die Füße unten ausziehen und dann ist ein Sturz vorprogrammiert.

Cima Tosa Bergstolz Nr. 73

Die Rinne durchzufahren ist uns nicht gelungen, wir mussten im untersten Drittel einfach stehen bleiben, so sehr haben uns die Oberschenkel gebrannt. Der Aufstieg steckte uns ja schon in den Beinen, die Anspannung und Nervosität bei der Abfahrt kommen hinzu – ohne Pause wäre da nichts mehr gegangen. Außerdem – auch wir stehen da nicht ganz so easy am Ski wie in einem 40° Powderhang.

Am Einstieg des Couloirs firnte es jetzt schon richtig auf und wie alte Powder Eight Champions wedelten wir runter zu unserem Filmer Michi, der sich im Gegenhang positioniert hatten. Er hatte die Wartezeit „vernünftig“ genutzt und sich während der sieben Stunden einen ordentlichen Waschbären ins Gesicht zaubern lassen. Der bei der Heimfahrt so dermaßen leuchtete, dass wir beinahe kein Licht gebraucht hätten;-)

Der Canalone Neri in Madonna di Campiglio war ein einmaliges Erlebnis für mich: Kräfte zehrend, atemberaubend und erfüllend. Ganz so schnell werde ich da aber trotzdem nicht wieder raufgehen. Und noch für alle, die sich diese Rinne ebenfalls schon in die Bucket List geschrieben haben: Vorbereitung, alpine Kenntnisse, sichere Verhältnisse, ordentliche Skitechnik und eine gute Kondition sollte man haben, sonst kann so ein Ausflug schlimm enden!

INFO BOX

Cima Tosa Bergstolz Nr. 73

CANALONE NERI.
Der Canalone Neri an der Cima Tosa ist wohl eine der schönsten und vollkommensten Rinnen der Alpen. 900 nordseitige und durchgehend steile Höhenmeter liegen in einer landschaftlich sehr eindrucksvollen Gegend. Die Rinne ist durchschnittlich 45° steil, an den steilsten Stellen bis zu 55°. Hier ist unbedingt die volle Ausrüstung notwendig: Harscheisen, Steigeisen, Pickel und Eisgeräte, Helm, Seil, Eisschrauben usw. Der Einstieg in die Rinne erfolgt auf ca. 1.200 Metern Seehöhe, von da an geht’s ca. 1.950 Höhenmeter bergauf. Eine Übernachtung im Winterraum des Rifugio Ai Brentei wird auf jeden Fall empfohlen. Die beste Jahreszeit für eine Befahrung des Canalone Neri ist zwischen März und Mai.

ANREISE.
  • Über die Brennerautobahn nach Bozen und weiter bis nach San Michele/Mezzocorona. Ins Val di Sole und über den Pass nach Madonna die Campiglio, durch den Ort hindurch, ein Stück bergab und über eine kleine Straße zur Talstation des Sesselliftes und weiter auf einem Waldweg zum Piazza delle Bore. Weiter Richtung Malga Brenta Bassa, je nach Schneelage kann weiter oder weniger weit ins Tal hineingefahren werden. Es kann durchaus auch passieren, dass man – wie wir – 1 Stunde auf Asphalt gehen muss, weil die Schranke noch zu ist.
  • Bei geringer Schneelage kann es sinnvoll sein, vom Parkplatz an der Malga Valesinella zu starten und dem Wanderweg zum Rifugio Ai Brentei zu folgen. Man spart sich hier 250 Höhenmeter, allerdings ist der Weg großteils eine steile Querung und muss häufig zu Fuß mit Steigeisen begangen werden. Zudem befindet man sich permanent im Gefahrenbereich der steilen Hänge oberhalb des Weges. Meist dürfte der Weg von der Malga Brenta Bassa deshalb die bessere Wahl sein.

MIDIAFILM.
  • Midiafilm ist die Produktionsfirma von Michael von Bernshausen. Er stand unter anderem federführend hinter dem letztjährigen „Characters on Skis“ und dem im Herbst veröffentlichten „Wishes and Reality“. Zur sozusagen „Stammcrew“ gehören nicht nur Roman Rohrmoser und Max Kroneck, sondern auch FWT-Fahrer Felix Wiemers, Jochen Mesle, Julia Neumann, Neil Williman und Lukas Ebenbichler.

www.roman-rohrmoser.com
www.facebook.com/rohrmoser.roman
www.instagram.com/rohrmoserroman
www.midiafilm.com




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