Bergstolz Issue No. 84

herangeht, imponiert Harald: mit unvoreingenomme- ner, grenzenloser Neugier statt mit überhöhten Erwartungen. „Mit Gewalt auf spektakuläre Gipfel zu steigen, macht keinen Sinn“, hat Harald nun auch ein- gesehen. Die Wahl seiner Ziele ist demütiger. Und prompt werden die Traumbilder Realität. Ein erster Akklimatisierungs-Trip in der Annapurna-Region liefert genau das, was Harald auf der ersten Himalaya-Tour vermisst hat: staubige Trails in karger, baumloser Berglandschaft, im Hintergrund gigantische weiße Berge, im Tal einladende Dörfer, herzliche Menschen, grüne Reisterrassen und Klöster, vor denen in glaskla- rer Luft bunte Gebetsfahnen wehen. Es ist, als würde Harald nun für seine Einsicht belohnt, nichts erzwingen zu wollen. Er hat erkannt: „Es geht darum offen zu sein, die Dinge auf sich zukommen zu lassen. Natürlich wirken großartige Landschaften, ein perfekter Trail, ein idyllisches Dorf anziehend auf uns. Doch oft ist es gerade der Bruch mit diesen Idealen, der das Abenteuer ausmacht.“ Zusammen mit Lila, einem Sherpa, der schon auf Martins Hütte in Öster- reich gearbeitet hat, reisen Harald und Martin noch tiefer hinein in den Himalaya. Die Siedlungen der Dolpo-Region reichen bis auf 4.300 Meter und zählen zu den höchstgelegenen, permanent bewohnten Ge- bieten der Welt. Von dort führen nur noch Eselspfade und Wanderwege weiter hinein in die Berge. Mit Lilas Hilfe finden sie Routen mit passablenWegen. Tagelang steigen sie ein Tal hinauf – und haben den- noch nie das Gefühl wirklich oben anzukommen. Bis- weilen kommt sich Harald vor wie ein alpiner Sisyphos. Doch selbst als ihn die Höhenkrankheit erwischt, ver- liert er nicht den Mut. Auf den einsamen Himalaya- Pfaden dämmert es ihm, dass die wahren Abenteuer solcher Reisen anderswo stattfinden: in den Begeg- nungen mit Menschen. Mit dem alten Mann, neben den sich Harald wortlos setzt, und wortlos in dessen wettergegerbtes Gesicht lächelt, bis beide schmunzeln und das Gefühl haben, sich schon ewig zu kennen. Mit den johlenden Kindern, die Harald kilometerweit hin- terherlaufen, um sich schließlich auf sein Bike zu schwingen. Mit der einfachen Familie im Bergdorf Ka- geni, deren Küche für ein paar Tage Haralds und Mar- tins Zuhause ist. In zwei Wochen fahren die beiden Abenteurer zwei Trails. „Wenn ich die Touren nur an Höhenmetern, Trail-Kilometern und meinem Adrena- linspiegel messen würde, wäre ich besser in den Alpen geblieben“, sagt Harald. „Doch Dolpo war einer der beeindruckendsten Trips meines Lebens.“ Kein Wun- der, denn es geht Harald längst um mehr – um Erfah- rungen fürs Leben. HIMALAYA 28 Bergstolz Ski & Bike Magazin • 06 | 2019

RkJQdWJsaXNoZXIy Mzk0ODY=