Seite 23 - BergstolzIssue33

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Seit Stunden spuren wir nun schon durch den immer dichter werdenden Schnee. Schritt für Schritt, versunken im
großen Nichts: unten, oben, links und rechts Weiß, kein Kontrast, außer ab und an eine Verwehung, eine Wechte
und dann auch mal ein Felsklotz, der dem Weiß trotzt. Eingehüllt in Schnee und gebeutelt von heftigen Winden,
Schritt für Schritt. Einzig vertrauend auf das Navigationsgerät und den eigenen Instinkt, denn dank Sturm und
Massen von Schnee hat die neu geformte Topographie absolut nichts mehr mit dem eigentlichen Untergrund zu
tun. Werden wir die Hütte finden? Wie fühlen sich die anderen in diesen absolut misslichen Verhältnissen? Wieso
tun wir uns das überhaupt an?Weshalb diese endlosen Stunden des Laufens, ohne zu wissen, ob man nicht gleich
von einer Kante mehrere Meter in die Tiefe stürzt?
Martin, unser Chefplaner, hatte die Tour minutiös geplant: Eine Mischung aus machbaren Tagesetappen und mög-
lichst vielen Abfahrtshöhenmetern, verbunden mit unterschiedlichen Übernachtungsmöglichkeiten und interes-
santen Gipfeln – das war seine Vorgabe. Zu seiner Planung gehörte aber auch, sich für jeden Tag eine
Alternativroute zu überlegen, sei es wegen schlechtenWetters, unbegehbaren Gipfeln, Lawinengefahr oder ande-
ren Unvorhersehbarkeiten. Und wie sich herausstellen sollte, mussten wir aufgrund von heftigen Schneefällen dar-
auf zurückgreifen.
Gute Planung heißt aber auch, dass sich jederTeilnehmer individuell mit der Tour auseinandersetzen, sich entspre-
chend vorbereiten und ausrüsten muss. Ziel ist es ja, so wenig Gewicht wie möglich und trotzdem das Nötigste
dabei zu haben. Dazu kommt die Ausrüstung, welche beim alpinen Wintereinsatz unverzichtbar ist: Piepser,
Schaufel, Sonde, Felle, Harscheisen, Klettergestell, Karabiner, Seil, Steigeisen, Pickel, Stirnlampe, Rettungsutensilien
und Navigationsmaterial. Dazu die nötige funktionelle Bekleidung, bei welcher wir von unserem
Bekleidungspartner Powderhorn unterstützt wurden, sowie Sturm- und Sonnenbrille, Tape gegen und Compeed
für Blasen,Trinkbehälter und Tagesverpflegung – und bei Felix und mir als ambitionierte Hobbyfotografen die
schwere Spiegelreflexkamera. Das alles muss in einem 28-Liter-Rucksack verstaut werden. Bei der Ski-Wahl soll-
te man sich über den Gesamtcharakter der Tour im Klaren sein. Da eine Alp-X leider nicht sehr abfahrtsorientiert
ist, spielt das Gewicht von Ski und Schuhen eine enorm wichtige Rolle. Mein Dynafit Manaslu (95 mm unterm
Fuß) und die dazu passende Bindung waren die perfekte Wahl – extrem leicht zum hoch laufen und trotzdem mit
genügend Breite für die hoffentlich unverspurten Hänge.
Unsere Gruppe setzte sich aus zwei Frauen und sechs Männern zusammen, wovon zwei die Tour mit ihren
Splitboards in Angriff nahmen. Dafür genießen sie meinen größten Respekt. Alleine die Dimension ihrer
Harscheisen, die mehr den Sandblechen eines Jeeps für die Paris-Dakar gleichen und entsprechend schwer sind,
ließen mich staunen. Aber Meki und Wolfgang sind Kämpfer!
Unsere Tour startete in der Woche vor Ostern in Baad im Kleinwalsertal bei perfektem Wetter. Die Meteorologen
kündigten jedoch einen Wetterwechsel und massive Schneefälle für die nächsten Tage an. Als erstes Highlight
wartete der Widderstein (2533 m) auf uns, seines Zeichens höchster Berg im Kleinwalsertal. Der Aufstieg zum
Gipfel erfolgte über den Hochalbpass. Dann ging es hinein in die enge Rinne, welche im unteren Teil durchgehend
40 Grad aufweist. Wer bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht genügend Spitzkehren in seinem Leben üben konnte,
erhält hier die ultimative Chance. Gefühlte eine Million Mal muss man in diesem steilen Gelände die Ski drehen,
dabei immer den Tiefblick genießend und hoffend, dass niemand von den weiter oben kletternden Tourengehern
die halbwegs intakte Spur komplett zerstört. Die Mühe lohnt sich, denn der Ausblick vom Gipfel ist fantastisch
und die anschließende Abfahrt einmalig, wenn auch äußerst anspruchsvoll: oben bieten die steilen, weiten und
leicht aufgesulzten Hänge optimales Terrain für große Schwünge. Zurück in der Rinne ist dann mehr Sprung- und
Kurzschwungtechnik gefragt. Das Ziel war Lech, welches wir über den Hochtannbergpass erreichten.
Der zweite Tag brachte das angekündigte schlechte Wetter mit anfänglich starkem Nebel, der die Sicht auf ein
Minimum reduzierte. Nach längerer Diskussion entschieden wir uns die Tour nicht wie geplant über den
Kaltenberg (2896 m) und Gaflunakopf (2676 m) und die damit verbundenen Abfahrten zu nehmen, sondern über
die sichere, aber weitaus weitere Variante durchs Maroital, über den Verwallsee, vorbei an der Konstanzer Hütte
und entlang der Rosanna bis zum Winterlager der Heilbronner Hütte. Dort hatte Wolfi am Wochenende zuvor
unseren Proviant bereits deponiert. Die Entscheidung für die sichere Variante war absolut richtig, denn nach
anfänglichem Regen liefen wir bald in dichtem Schneetreiben, was einerseits die Sicht auf Null reduzierte und
andererseits das Spuren zu einer immer größer werdenden Herausforderung machte. Die letzten zwei Stunden
waren nur noch mit Hilfe der Navigationsgeräte in Kombination mit unserem Instinkt machbar, denn immer wie-
der hatten sich meterhohe Verwehungen gebildet, die wir nur erspüren konnten. Oft brachen diese jäh auf der
anderen Seite ab, so dass man sich Schritt für Schritt durch den mittlerweile knietiefen Schnee kämpfen musste.
Diese extreme Situation brachte einige Spannung im Team, und immer wieder kam es zu kurzen
Auseinandersetzungen über die richtige Wegwahl – dies ist normal in solchen Momenten und verlangt nach
einem klaren Führer, der die Verantwortung übernimmt. So steuerten Felix mit dem GPS und ich führend die
Gruppe schlussendlich sicher zum Ziel. Im Winterraum angekommen mussten wir erst die Hütte von ihren
Minustemperaturen befreien und heizten dementsprechend richtig ein.
Der folgende Morgen empfing uns mit wütenden Winden und 60 Zentimeter Neuschnee – Sichtweite wieder im
Meterbereich. Die geplante Route über Fluhspitzen (2550 m) und die Bieler Spitze (2545 m) musste erneut gestri-
chen werden. Wir entschieden uns in zwei Gruppen mit genügend Abstand dem Verbellabach folgend über das